: Rote Zahlen mit schwarzem Gold
Der sinkende Ölpreis reißt ein tiefes Loch in Saudi-Arabiens Staatskasse / Westliche Waffenhändler bangen um einen guten Absatzmarkt ■ Aus Riad Karim El-Gawhary
Saudi-Arabien, das Land des schwarzen Goldes, schreibt rote Zahlen. Eine Tatsache, die in den USA und Westeuropa so manchen Exporteur von Waffen oder Industrieanlagen das Fürchten lehrt. Bisher war der saudische Absatzmarkt immer ein Garant dafür, die heimischen Fließbänder am Laufen zu halten.
Wäre es nach Plan gegangen, hätten der saudischen Regierung letztes Jahr nur 7,4 Milliarden Dollar in ihrem Haushalt gefehlt. Dabei waren die Scheichs davon ausgegangen, daß der Ölpreis 1993 um sechs Prozent steigen würde. Doch die Wirklichkeit sah anders aus, der Ölpreis fiel in den Keller (s. unten). Die saudischen Öleinnahmen, immerhin drei Viertel der Staatseinnahmen, sanken um satte 15 Prozent. Nach Expertenschätzungen fehlen nun zwischen zehn und 15 Milliarden US-Dollar in der saudischen Staatskasse. Die Schulden sind damit innerhalb der letzten zehn Jahre von null auf 55 Milliarden Dollar angewachsen.
Die Reserven des Königreiches lagen 1992 bei 79 Milliarden Dollar. Genug, um 29 Monate lang zu importieren, ohne einen Liter Öl zu exportieren – auf dem Papier. Denn die meisten Reserven sind im Gegensatz zum Öl nicht flüssig. Ein Drittel davon dient als Währungsreserve zur Deckung des saudischen Riyals. Mit einem weiteren Drittel sind die Kreditbriefe für die Importe des öffentlichen Sektors gedeckt. Ein anderer Teil wurde als Kredite an Entwicklungsländer vergeben – mit wenig Aussicht auf Rückzahlung.
Also leihen? Bisher wandte sich der saudische Staat auf der Suche nach Geld meist an einheimische Banken oder halbstaatliche Institutionen und mied internationale Kreditgeber. Mit Ölreserven für die nächsten hundert Jahre unter der saudischen Wüste dürfte es auch kein Problem sein, weitere Kreditoren zu finden.
Bei der Vorstellung des Staatshaushaltes vor wenigen Wochen legte die Regierung allerdings den Schwerpunkt auf Haushaltskürzungen, ein vom IWF schon länger geforderter Weg aus der Minus- Krise. Und hier beginnt bei den westlichen Exporteuren das Zittern. Kürzungen von fast 20 Prozent wurden angekündigt. Der König soll seine Minister angewiesen haben, in Zukunft die Leitlinien ihrer Haushalte genauer einzuhalten. Mit den Sparmaßnahmen ist geplant, das Defizit auf eine Milliarde Dollar schrumpfen zu lassen.
Bisher genießen die saudischen Bürger allerlei Privilegien. Der Staat stellt billigen Wohnraum, das Gesundheitswesen ist kostenlos. Die Ausbildung von der Grundschule bis zur Universität ist bibalasch – gratis. Mit dem Bevölkerungswachstum und inzwischen zwölf Millionen saudischen Bürger, davon die Hälfte jünger als 15 Jahre, ist ein solcher Luxus inzwischen zu teuer. Hier zu kürzen dürfte allerdings schwierig sein für eine Regierung, die davon lebt, sich die Gunst seiner Bürger schlichtweg zu erkaufen.
„Wird der wirtschaftliche Trouble nun auch zu einem politischen Ärgernis?“ fragte unlängst die New York Times in apokalyptischer Vorsehung für die Königsfamilie. Um sicherzugehen, hat diese letztes Jahr ein Stück von ihrem Kuchen abgegeben. In einem lange erwarteten Schritt wurde ein 60köpfiges sogenanntes Schura- Council (Majlis As-Schura) geschaffen. Die Mitglieder sollen dem König in Zukunft mit Rat und Tat zur Seite stehen. Zu entscheiden haben sie selbstverständlich nichts.
Am meisten Sinn würde die Kürzung der Verteidigungsausgaben machen. Sie verschlingen immerhin ein Drittel des Staatshaushaltes. Viele arabische Sicherheitsexperten halten die Idee, daß das kleine Saudi-Arabien sein großes Territorium selbst verteidigen kann, ohnehin für illusorisch. Sie schlagen statt dessen vor, eine regionale Sicherheitsordnung zu schaffen. Doch die Saudis möchten ihre militärischen Angelegenheiten nicht in andere Hände geben und schon gar nicht in arabische. Statt dessen heißt es nun: „Keine Kürzungen, aber das Geld effektiver einsetzen“.
Seit dem Golfkrieg haben die Saudis für 26 Milliarden Dollar allerlei Kriegsgerät in den USA erstanden. In zwei Jahren wurde mehr eingekauft als in den zwei Jahrzehnten davor – sozusagen als Dank für die „Operation Desert Storm“. Für den US-Rüstungssektor sind solche Geschäfte angesichts eines schrumpfenden einheimischen Marktes fast zur Überlebensfrage geworden. Im Moment scheint man sich angesichts der saudischen Finanzlage auf einen Kompromiß geeinigt zu haben. Der Rückzahlungstermin an fünf US-Firmen für Waffengeschäfte im Wert von 9,2 Milliarden Dollar wurde zunächst um zwei Jahre ausgedehnt.
Bei einem britischen Waffengeschäft mit Tornado-Flugzeugen, veranschlagt auf 15 Milliarden Dollar, gibt es bisher keine Umschuldungen. British Aerospace wird in den nächsten Jahren 48 Tornados einschließlich Inspektoren und Bewaffnung liefern. Dazu möchte man den Königen und Prinzen auch noch den Kauf des „Eurofighter 2000“ schmackhaft machen.
Frankreich brachte seine Schäfchen noch rechtzeitig ins trockene. Premierminister Edouard Balladur brachte nach einer Reise nach Riad im Januar Aufträge im Wert von zwei Milliarden Dollar nach Hause. Letzte Woche verkündete das französische Verteidigungsministerium zusätzlich die Lieferung von vier Marine-Zerstörern und diversem elektronischem Waffenzubehör. Damit der Handel zustande kam, versprach Paris gleich erleichterte Zahlungsbedingungen. Zahlbar innerhalb von acht Jahren, Beginn 1995.
Die Saudis wollen bei all dem Gerede über ihr Defizit unter den ausländischen Investoren und Lieferanten keine Panik schüren. In einem Brief an die New York Times letztes Jahr versuchte Wirtschaftsminister Muhammad Ali Abalkhail die Gemüter zu beruhigen. „Das Defizit ist kein Geheimnis, das nun plötzlich aufgedeckt wurde“, schrieb er. Es sei das Ergebnis ehrgeiziger Entwicklungspläne. Außerdem überstiegen die Staatsschulden nicht mehr als 5,2 Prozent des Brutto-Inlandsprodukts, weniger als das Maximum, das nach EU-Standard noch als kreditwürdig gelte. Man solle schließlich nicht vergessen, daß der Golfkrieg das Königreich 55 Milliarden Dollar gekostet habe.
Der beste Weg aus der Misere wäre eine Erhöhung der Öleinnahmen. Doch hier steht das Königreich vor einem Dilemma. Letzten Oktober hat es sich im Rahmen der Opec bereit erklärt, nicht mehr als acht Millionen Barrel täglich zu produzieren. Denn höhrere Produktionsraten würden den Ölpreis noch mehr ins Tal stürzen lassen.
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