Senderbewußtsein

■ Für viel geld will sich arte ein besseres Image zulegen

„Hab' ich vielleicht 'ne elitäre Visage?“ lächelt seit gestern ein verschmitzter Jung-Gallier von Pariser Métro-Zügen und Provinz-Linienbussen. „Seh' ich so aus, als ob ich nichts als Problemewälzen im Kopf hätte?“ fragt eine aufgeweckte Durchschnitts-Marianne von Plakatwänden jeder französischen Stadt ab 40.000 EinwohnerInnen. Ausgedacht hat sich die ungewöhnliche, vom (kaum übersetzbaren) Wortwitz lebende Publikumskampagne der vielfach preisgekrönte britische Talentschuppen Lambie-Nairn & Company, Spezialist für Fernseh- Imagewerbung. Sein Auftraggeber: der Kulturkanal arte.

Für rund 20 Millionen Francs (6,5 Millionen Mark) sollen die von scheinbar unüberwindlicher Schwellenangst geplagten Franzosen davon überzeugt werden, daß das im Lande als hochgestochen verschriene multinationale Programm tatsächlich für alle da ist. Bisher sind die arte-Einschaltquoten in Frankreich mehr als mäßig: Nur 18,6 Prozent haben den Straßburger Sender mit dem Qualitätsprogramm zumindest einmal wöchentlich eingeschaltet, obgleich – anders als bei uns – 80 Prozent der Bevölkerung das könnte: arte ist jenseits des Rheins über Antenne zu empfangen. Dennoch schaute sich beispielsweise Bertoluccis „Letzter Kaiser“ seltsamerweise nur ein Bruchteil des Publikums auf dem arte-Kanal 5 an, wohingegen der Film kurz darauf beim (privaten) Marktführer TF 1 Traumquoten erzielte.

Eine simple Erklärung dafür schrieben sogar schon arte-ZuschauerInnen dem Sender – und vor allem seinen vielen Vätern beiderseits des Rheins ins Stammbuch, so wie Uwe H. aus Rostock in der April-Ausgabe des arte- Programmheftes: „Es reicht eben nicht, gut zu sein; man muß auch Werbung dafür machen.“ Der Zeitpunkt für die Ermutigung der Franzosen zur Neugier ist geschickt gewählt. Denn Kanal 5 ist seit Monaten wegen Premierminister Balladurs Arbeitslosen-Fernsehen „Télé-Emploi“ (taz vom 28.3.) in aller Munde.

Popularisierung im Sinne des Wortes gilt auch als Stichwort für ein neues arte-Gewand, an dem die kreativen Couturiers vom Lambie- Nairn & Co bereits unter Mitwirkung der just mit dem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichneten arte- Designer Hélène Guéary und Lothaire Burg ebenfalls schneidern. Das Defilee – klarer, „lesbarer“, wie Programmchef Victor Rocaries dem Françe Soir sagte – soll nach den großen Sommerferien Ende August beginnen. Dann werden, soviel steht fest, mehr „Gesichter“ den arte-Bildschirm prägen. Darunter ist auch das bei unseren Nachbarn sehr bekannte Angesicht des Engländers Alex Taylor, der bislang auf France 3 die hochfrequentierten Magazine Continentales und L'Eurojournal moderierte und nach achtwöchigen Verhandlungen vergangenen Donnerstag bei arte unterschrieb.

Taylor, ein polyglotter Ex-Lehrer, der seinen Oberstuflern schon mal die „Golden Girls“ als Unterrichtseinheit servierte, hat für die Aufgabe, in Straßburg ein bisher nie dagewesenes multinational mehrsprachiges Kultur- und Politik-Magazin zu moderieren, diverse lukrative Angebote wie etwa eine TF 1-Spielshow über die Liebe ausgeschlagen.

Neue Wege beschreitet arte auch beim Marketing. Gestern abend hob Präsident Jérome Clément im Pariser Maison de la Sarre vor „gleichgesinnten“ Verantwortlichen rund 70 europäischer Unternehmen (fast) aller Branchen – darunter auch deutsche – den sogenannten „arte-Club“ aus der Taufe. Durch diesen Club will man nach in einer „Charta“ fixierten Regeln und unter Federführung des Senders zum wechselseitigen Nutzen langfristige „arte-Patenschaften“ entwickeln. Sponsoren und Gegengeschäfte sollen auf diese Art gefunden werden, über Namen und erwartete Einnahmen schweigt sich arte-Club-Animateur Michael Schröder allerdings einstweilen aus. Eine gesunde zweistellige Millionensumme scheint sich indes im arte-Portefeuille bereits abzuzeichnen.

Schließlich hat der Qualitätskanal – allen Unkenrufen zum Trotz – technische Reichweiten wie kein anderer zu bieten. Außer in den Gründungsländern Deutschland und Frankreich ist der Multikulti inzwischen in beiden Teilen Belgiens (Kooperation), in Österreich und der Schweiz (Kabelverbreitung), in Polen, Tschechien, Ungarn, Rumänien, Rußland und Bosnien (Programmaustausch) verbreitet. Mit der italienischen RAI steht ein Kooperationsprogramm kurz vor dem Abschluß. Mit dem spanischen TVE findet morgen die erste reguläre Programmkonferenz für einen monatlichen Themenabend und die Programmübernahme an den Wochenenden statt – was mit dem künftigen Satelliten Hispasat 2 auch von den Antillen bis nach Feuerland zu sehen sein wird.

Und sogar jenseits des Atlantik verbreitet der Kulturkanal mittlerweile sein Sendungsbewußtsein: Vergangenen Donnerstag weihte Clément das arte-Programm (120 Stunden in diesem Jahr) beim Sender Canal 22 in Mexiko ein. Ulla Küspert