: Brasilien: Abhängig von der Waldwirtschaft
Nur Nationalparks schützen den Tropenwald wirksam vor dem Kahlschlag ■ Aus Rio de Janeiro Astrid Prange
Brasiliens Volkswirtschaft kann auf die Rodung seiner Regen- und Küstenwälder nicht verzichten. Langsamer als im vergangenen Jahrzehnt, doch kontinuierlich wird der grüne Teppich zerschnitten. „Der Wald muß weichen“, stellt Volker Kirchhoff vom brasilianischen Raumfahrtinstitut „Inpe“ (Instituto Nacional de Pesquisas Espaciais) aus São José dos Campos klar. Bei einem steten Bevölkerungswachstum sei in Brasilien „der Garten hinterm Haus eindeutig zu groß“. Laut Kirchhoff, der die Inpe-Satellitenaufnahmen aus der Amazonasregion auswertet, ist die Vernichtung des Regenwaldes weniger gravierend als bisher angenommen. „Erst“ 328.000 Quadratkilometer (zum Vergleich: Die Fläche des wiedervereinigten Deutschland beträgt 356.955 Quadratkilometer) natürlicher Urwald seien bisher verschwunden. Dies entspräche 6,5 Prozent des Amazonasgebietes oder knapp drei Prozent des gesamten brasilianischen Territoriums (8,5 Millionen Quadratkilometer).
Nach den offiziellen Auswertungen gingen die Abholzungen im Amazonasgebiet seit 1989 kontinuierlich zurück. Während zwischen 1978 und 1988 jährlich rund 21.000 Quadratkilometer Wald der Motorsäge zum Opfer fielen, betrug die Zerstörung im Jahr 1989 etwa 17.000 Quadratkilometer. Ein Jahr später wurden 13.000 Quadratkilometer Waldfläche abgeholzt, 1991 sank die Zahl auf 11.000 Quadratkilometer. Für 1992 liegen noch keine offiziellen Angaben vor, doch nach Schätzungen Kirchhoffs sind im vergangenen Jahr rund 10.000 Quadratkilometer natürlicher Regenwald vernichtet worden.
José Padua von Greenpeace bestätigt zwar den seichteren Rodungsrhythmus, widerspricht jedoch dem Optimismus des Inpe- Vertreters. Nicht 328.000, sondern 415.000 Quadratkilometer ursprüngliche Waldfläche seien bereits im Amazonas gerodet worden. 90 Prozent der Zerstörung habe sich in den letzten 20 Jahren zugetragen. Die offiziellen Daten der brasilianischen Regierung, wonach lediglich 6,5 Prozent der Amazonasfläche abgeholzt wurden, sind nach Paduas Ansicht ebenfalls geschönt. „Das Ausmaß der Zerstörung liegt mindestens bei zehn Prozent, denn die echte Ausdehnung des Regenwaldgebietes beträgt vier und nicht fünf Millionen Quadratkilometer“, stellt der Umweltschützer klar.
Einmal abgesehen von dem Streit um die Zahlen sind sich jedoch sowohl Umweltschützer als auch Regierungsvertreter darüber einig, daß die Hauptursache für die Rodung der Naturwälder in der Expansion von Landwirtschaft, Rinderzucht und Holzindustrie liegt. Im Gegensatz zu den 70er Jahren, als Tausende von Kleinbauern mit dem Versprechen auf ein Stück Land in den Urwald gelockt wurden, geht die Bedrohung für den Regenwald nunmehr von der Landwirtschaft im großen Stil aus.
Philip Fearnside, Vorsitzender des brasilianischen Instituts für Amazonasforschung, Inpa, in Manaus, hat den neuen Trend vor Ort beobachtet. Nach den Berechnungen des amerikanischen Wissenschaftlers waren 1991 Kleinbauern mit einem Besitz bis zu 100 Hektar, die sich im Bundesstaat Rondônia konzentrieren, lediglich für ein Drittel der Rodungen verantwortlich. Der Großteil der Abholzungen ging auf das Konto der Großgrundbesitzer. „Die Aufhebung der steuerlichen Begünstigungen hat nicht viel gebracht. Landwirtschaft und Viehzucht im großen Stil sind nach wie vor ein einträgliches Geschäft“, lautet Fearnsides Fazit.
Bis zum 25. Juni 1991 subventionierte die brasilianische Regierung die Rodung des Regenwaldes. Dies führte dazu, daß die Großgrundbesitzer keinen Baum auf ihrem Territorium stehen ließen, allein um in den Genuß der staatlichen Zuschüsse zu kommen. Die so erzwungene Urbarmachung verwandelte nach Angaben des brasilianischen Statistikamtes ein Viertel der Regenwaldregion in landwirtschaftliche Nutzfläche. 1970 lag dieser Anteil noch bei 11 Prozent. Der aktuelle brasilianische Umweltkodex schreibt vor, daß auf jedem Grundstück mindestens 20 Prozent der ursprünglichen Waldfläche erhalten bleiben müssen. „Doch in der Praxis“, so Diana Hamburger von der Umweltschutzorganisation „SOS Mata AtlÛntica“ aus São Paulo, „wird diese Vorschrift mangels Kontrolle nicht eingehalten.“
„Besonders Monokulturen wie die riesigen Orangen- und Sojaplantagen und der Anbau von Zuckerrohr im Bundesstaat São Paulo haben die Landschaft verändert“, erklärt Diana Hamburger. In einigen Regionen wie in den Bundesstaaten Bahia und Espirito Santo mußten die Küstenwälder zudem den Eukalyptusplantagen der Zellstoffindustrie weichen.
„Das erstaunliche ist“, erklärt Diana Hamburger, „daß die Abholzung des auf ein Minimum geschrumpften Küstenwaldes dennoch auf vollen Touren weiterläuft.“ Nur abgeriegelte Naturschutzgebiete oder wirtschaftlich uninteressante Flächen blieben vom Kahlschlag verschont.
Dies trifft auch auf den Amazonas zu. Trotz der katastrophalen Finanzlage des brasilianischen Staats ist der Ausbau des Straßennetzes in den vergangenen Jahren nicht ganz zum Erliegen gekommen. Private Unternehmen legen sich ihre Transportwege selbst an.
Eine im vergangenen Jahr beim Kieler Institut für Weltwirtschaft von Greenpeace in Auftrag gegebene Studie kommt zu dem Ergebnis, daß Länder wie Brasilien, Indonesien und Kamerun auf ihre wirtschaftlichen Aktivitäten in den Regenwaldgebieten nicht verzichten können. „Die Wirtschaft in diesen Regionen macht zwischen fünf und zehn Prozent des jeweiligen Volkseinkommens aus“, heißt es in der Studie. Auch wenn man bedenke, daß der Regenwald nicht regenerationsfähig sei, würde der Verzicht auf Einkommen dieser Größenordnung die Entwicklungschancen des jeweiligen Landes spürbar mindern.
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