: Sechs Richtige für Europa
■ Sechsstellige Postleitzahlen ab April 96 / Keiner will die Null Von Werner Hinzpeter
Haben Sie sich auch endlich an die neue Postleitzahl Ihrer Mutter, Ihrer Freundin in Berlin und vor allem an Ihre eigene gewöhnt? Vergessen Sie's. Denn schon in zwei Jahren bekommen Sie eine neue: Die wird sechsstellig sein und soll dem europäischen Postverkehr auf die Sprünge helfen.
So geht es aus dem noch nicht veröffentlichten Entwurf einer Informationsbroschüre hervor, die der taz zugespielt wurde. Ab April 1996 fallen danach alle Staaten der Europäischen Union unter die neue Regelung. Nur noch außerhalb der Gemeinschaft sind dann Länderangaben nötig. Wer aus Mallorca eine Postkarte nach Hause schickt, kann auf das „D“ für „Deutschland“ getrost verzichten, nur die sechs Zahlen muß er sich noch merken.
„Briefe besonders in den südeuropäischen Raum dauern für einen funktionierenden Binnenmarkt einfach zu lange“, begründet Klaus Rakowski, Hamburger Vertreter des Deutschen Postdiensts in der „Arbeitsgruppe Europost“ diesen Schritt, ohne noch lange Dementis von sich zu geben. Mit der Umstellung, so die Hoffnung, kämen 80 Prozent der grenzüberschreitenden Post binnen 3 Tagen nach ihrer Einlieferung an. Zudem versprechen sich die europäischen Postunternehmen „erhebliche Einsparungen“ vom neuen Verfahren. Die Millionenbeträge, die besonders gewerbliche Kunden für die Umstellung von Computern, Briefpapier etc. ausgeben müssen, sind in dieser betriebswirtschaftlichen Rechnung allerdings nicht berücksichtigt.
„Wir sind jetzt keine Behörde mehr“, entgegnet Rakowski, „im Vordergrund muß deshalb unser Geschäftsergebnis stehen“. Zudem habe eine US-Studie über „den Menschen in der Postmoderne“ ergeben, daß „85 Prozent aller Erwachsenen sich sechsstellige Zahlen wegen der Zweierstaffelung wesentlich leichter merken können als fünfstellige“.
Noch offen ist die Numerierung. Klar ist nur, daß nicht jeder Mitgliedsstaat der Europäischen Union einfach eine Ziffer vor seine bisherigen Zahlen stellen kann. Bei demnächst 16 EU-Staaten würden die zehn Ziffern 0 bis 9 gar nicht ausreichen. Wegen seiner Größe und Lage wird Deutschland, das wegen seiner Erfahrungen im letzten Sommer die Planung federführend übertragen bekam, allerdings weitgehend unter einer Nummer stehen. „Nur dort, wo benachbarte Ballungszentren eine wirtschaftlichere Beförderung ermöglichen, wird dessen Leitzahl übernommen“, heißt es im Entwurf der Informationsbroschüre, die ab September an alle bundesdeutschen Haushalte verteilt werden soll.
So soll der Bereich Ostfriesland von der niederländischen Postzentrale Groningen betreut werden, die ihm viel näher ist als Hamburg. Im Norden Deutschlands steht ein gar ein Konflikt ins Haus: Der Südschleswigsche Wählerverband (SSW), die Vertretung der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein, will über die Euro-PLZ den postalischen Anschluß an Dänemark durchsetzen. Gestützt auf die erheblichen Gewinne bei den Kommunalwahlen vor zwei Wochen forderte der SSW dieser Tage in einem Brief an die „Arbeitsgruppe Europost“, in seinen Hochburgen Nordfriesland, Schleswig-Flensburg und in der Stadt Flensburg die Post über Kopenhagen zustellen zu lassen und zudem die gelben deutschen Briefkästen „durch die ästhetisch ansprechenderen roten Briefkästen“ der Dänischen Post zu ersetzen. Klaus Rakowski gibt zu, daß da noch „das eine oder andere Problem“ auf die Europostler zukommt: „Südtirol zum Beispiel, da Österreich ja nun auch der Europäischen Union beitritt. Und an Nordirland wage ich gar nicht zu denken“.
Bisher konnten sich die Vertreter in der „AG Europost“ noch nicht einigen, welche Regionen mit welchen Ziffern beginnen werden. Favorisiert wird bislang die „1“ für das Leitgebiet Deutschland. „Hier gibt es die meisten Einwohner und die meisten Postkunden“, so Rakowski. Aber Franzosen und Briten wollen das nicht hinnehmen. Sie fühlen sich als Nummern „3“ und „4“ unterbewertet. Und weder Griechenland noch die künftigen Mitglieder Schweden und Finnland wollen sich mit der „0“ zufriedengeben.
Noch ungeklärt ist auch, wie die Bürger an die neuen Daten kommen. Immerhin 16 mehr oder weniger starke Postleitzahlenbücher soll es geben. Wollte man jeden Haushalt und Betrieb damit versorgen, wären insgesamt fast 2 Milliarden Bücher zu drucken.
Eine große Hamburger Agentur arbeitet derzeit an einer begleitenden Werbekampagne, um die Bevölkerung auf die Sechserpacks einzustimmen. Das Erfinderteam von „Fünf ist Trümpf“ wollte seinen Favoritenspruch „mit Rücksicht auf die Auftraggeber“ noch nicht nennen. Der Broschürenentwurf hilft weiter. Er trägt den Titel: „Sechs Richtige für Europa“. Wie kleine Lottokönige können sich die Erfinder jetzt schon fühlen. Im Gegensatz zur Masse der Steuerzahler dürften sie an den Träumen der Europostler kräftig verdienen.
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