: Erst büßen, dann pflegen
■ In Berlin soll der Buß- und Bettag abgeschafft werden, um mit dem neuen Arbeitstag die Pflegeversicherung zu finanzieren / Diepgen hat den Bischof noch gar nicht informiert
Die Sozialabgaben steigen, die Berlinhilfe fällt, aber jetzt soll den Berlinern auch noch die Freizeit zusammengestrichen werden. Der Bußtag in diesem Jahr wird wohl der letzte sein, an dem nicht gearbeitet wird – mit einem neuen „Tag der Arbeit“ soll nämlich die Pflegeversicherung finanziert werden. Berlin werde sich für den Bußtag entscheiden, sagte diese Woche der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU), weil dieser für den „Wirtschafts- und Tourismusraum“ Berlin-Brandenburg günstiger sei als etwa der Pfingstmontag. Die Fraktionen von CDU, SPD und FDP äußerten sich ähnlich.
Über die Pflegeversicherung hatten sich nach jahrelangem Streit die Bundestagsfraktionen CDU/ CSU, FDP und SPD in einem Kompromißpapier geeinigt. Das Gesetz soll Ende April im Bundestag beschlossen werden. In den Genuß der Versicherung kommen alle Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder einer Behinderung in erheblichem Maße der Hilfe bedürfen. Bedürftige werden ab Januar kommenden Jahres bei der Pflege zu Hause monatlich mit Sachleistungen in Höhe von 750 Mark bis 2.800 Mark sowie Geldleistungen von 400 Mark bis 1.300 Mark unterstützt. Bedürftige in Heimen kommen erst in einer zweiten Stufe – ab Juli übernächsten Jahres – in den Genuß der stationären Pflegeversicherung. Monatlich werden pflegebedingte Ausgaben von durchschnittlich 2.500 Mark – in Ausnahmefällen sogar mehr als 2.800 Mark – übernommen. Die Kosten für Unterbringung und Verpflegung müssen weiter selbst getragen werden. Schließlich sollen andere gesetzliche Leistungen wie Rente oder Sozialhilfe nicht ersetzt werden.
Wie teuer das Ganze wird, weiß niemand. Wem man in die Tasche greift, ist dagegen klar: den Arbeitnehmern. Aus der Kasse der Arbeitgeber wird sich dagegen nur bedient, wenn ein Feiertag abgeschafft wird. Mit einem Hundertstel der Bruttoarbeitslöhne in der Bundesrepublik – 1994 sind das nach Angaben des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung rund 17,2 Milliarden Mark – soll die Pflege finanziert werden. Damit der „Wirtschaftsstandort Deutschland“ nicht „gefährdet“ wird, sollen die Arbeitgeber von den Nachteilen der „Solidargemeinschaft“ verschont bleiben. Die Beiträge sollen allein die Arbeitnehmer aufbringen, ab nächsten Januar rund ein Prozent des Lohnes.
Entscheiden sich die Landtage der Bundesländer – in Berlin ist das das Abgeordnetenhaus – für die Abschaffung eines Feiertages, teilen sich Arbeitnehmer und Unternehmer die Kosten zwar zur Hälfte. Doch nur auf dem Papier. Vom Bruttolohn würde tatsächlich nur noch ein halbes Prozent zusätzlicher Sozialleistung abgezogen, doch andererseits wird ein Tag mehr gearbeitet, ohne daß am Monatsende der Arbeitgeber mehr Geld auszahlt. Für Feiertage in der Woche wird nämlich ohnehin der Lohn weitergezahlt.
Mit Inkrafttreten der zweiten Stufe – der stationären Pflegeversicherung – erhöhen sich die Kosten und damit der Beitragssatz ab 1996 auf 1,7 Prozent. Dann muß wohl ein weiterer Feiertag dran glauben. Der stellvertretende Vorsitzende des DGB Berlin-Brandenburg, Bernd Rissmann, bezweifelt, daß die Pflegeversicherung mit einem Feiertag bezahlbar sei. Peter Blume vom Deutschen Industrie- und Handelstag (DIHT) befürchtet gar, daß nicht einmal zwei Feiertage ausreichen. Der DIHT ist grundsätzlich gegen eine Beteiligung der Unternehmer an den Beitragszahlungen. Der Buß- und Bettag ist also erst der Anfang.
Der Bund hat die Länder dazu aufgefordert, nur Feiertage zu streichen, die stets auf einen Werktag fallen. Diese Voraussetzungen erfüllen der Karfreitag, der Ostermontag, der Pfingstmontag, Christi Himmelfahrt und der Buß- und Bettag.
Die Argumentation für den Verzicht auf den Bußtag ist einleuchtend: Mitten in der Woche und im November sei der Freizeitwert gering. Berlin will sich mit seinem Nachbarbundesland Brandenburg auf eine gemeinsame Regelung einigen. Doch auf Grund der dortigen Regierungskrise wird sich mit der Feiertagsfrage nicht beschäftigt. Brandenburgs Arbeits- und Sozialministerin, Regine Hildebrandt (SPD), ist zu keiner Stellungnahme bereit.
Bedeckt halten sich auch die Kirchen. Ob man der Streichung eines Feiertages zustimmt, ist noch nicht geklärt. Dieter Hanky, Sprecher der katholischen Kirche in Berlin, will zu dem vorgeschlagenen Reformationsfeiertag gar nichts sagen: „Zum Bußtag muß sich die evangelische Kirche äußern.“ Dort steht das Thema auf der Synode in der Woche nach Ostern an. Der Sprecher der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg (1,65 Millionen Mitglieder), Reinhard Stawinski, ist deshalb auch über Diepgens Vorschlag verwundert, denn mit dem Bischof sei noch überhaupt nicht gesprochen worden. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) begrüßt mit der Einigung bei der Pflegeversicherung zwar, daß eine solidarische Absicherung gelungen sei. Die Streichung eines Feiertags sei aber ein falscher Schritt. Feiertage seien über ihre religiöse Bedeutung hinaus eine kostbares Gut der Sozialkultur. Dirk Wildt
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