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Das alltägliche Leben auf dem Vulkan

„Er ist tödlich, aber er ist unserer Freund.“ – Das besondere Verhältnis der Menschen auf der italienischen Insel Stromboli zu ihrer Touristenattraktion, dem einzigen permanent tätigen Vulkan Europas  ■ Von Ulrike Klausmann

Stromboli ist die jüngste der „sieben Schwestern“, jener Inselgruppe vor der Nordküste Siziliens, die offiziell Äolische oder Liparische Inseln heißt. Wie ein Kegel ragt die Spitze des feuerspeienden Berges 926 Meter aus dem Meer heraus.

Der einzige permanent tätige Vulkan in Europa zieht immer mehr Touristen an. Er bietet ein einmaliges Schauspiel für Augen und Ohren. Wenn er im Viertelstundenrhythmus fauchend und brodelnd glühende Lavabrocken in die Luft speit. Auch ungeübte Wanderer sind in gut drei Stunden auf dem Gipfel, von dem aus sie in den etwas tiefer gelegenen Krater mit seinen drei „Höllenschlunden“ hineinschauen können. Überwältigend ist das Spektakel nachts, wenn die Glutfontänen sich wie ein gigantisches Feuerwerk gegen den schwarzen Himmel abheben.

Die Gemeinde hat Schilder aufgestellt, die den Aufstieg auf den Vulkan ohne Führer verbieten. Viele Touristen lächeln über diese Vorsicht. Doch die Leute von Stromboli haben ein ganz besonderes Verhältnis zu ihrem Vulkan.

Sie nennen ihn „Iddu“, das ist Sizilianisch und bedeutet „Er“. Die Einwohner von Stromboli betrachten den Vulkan mit liebevollem Respekt. „Wir leben mit Ihm“, sagt Mario, „für uns ist Er etwas Lebendiges. Wir müssen Ihn respektieren. Wenn wir Ihm Seinen Raum lassen, dann haben wir nichts zu befürchten. Doch wenn wir die Sphären betreten, in denen Er arbeitet, dann wird es für uns gefährlich.“

„Einer wollte ausrechnen, wann er ausbricht, berichtet Giuseppina. Als wenn der Vulkan eine Uhr hätte! Dann wollte er genau zwischen zwei Ausbrüchen an den Kraterrand. Er hatte sich verrechnet. Mein Bruder hat die verkohlte Leiche runtergeholt.“

In der Tat sind die Unfälle, die sich alljährlich am Kraterrand ereignen, fast immer auf Unvorsichtigkeit einzelner zurückzuführen. Die Ausbrüche des Vulkans sind in der Regel ungefährlich. Der Feuerberg spuckt seine Lavabrocken immer in dieselbe Richtung, so daß sie auf der sciara del fuoco, der Feuerrutsche an der Nordseite der Insel, ins Meer rollen können.

„Der Vulkan ist tödlich, aber er ist unser Freund, denn er bringt uns den Tourismus“, sagt Bürgermeister Mario Cincotta. Doch auch der Tourismus kann tödlich werden für Stromboli, wenn er nicht im Zaum gehalten wird. In den letzten Jahren stellt er das ökologische und soziale Gleichgewicht der Insel auf eine harte Probe. 100.000 Menschen aus aller Welt sind im vorigen Jahr auf die knapp 13 Quadratkilometer große Lavascholle gepilgert, die inzwischen ausschließlich vom Fremdenverkehr lebt. Das war nicht immer so.

Bis in die zwanziger Jahre hinein war Stromboli die reichste Insel des Archipels, mit einer Handelsflotte von hundert Segelschiffen und einer Landwirtschaft, die überwiegend von Oliven, Kapern und Weinanbau bestimmt war. Die Leute von den Nachbarinseln kamen nach Stromboli, denn hier verdienten sie das Doppelte. Mehr als 2.500 Menschen fanden auf der Vulkaninsel ihren Lebensraum. Der technische Fortschritt, verbunden mit der kolonialistischen Nord-Süd-Politik Italiens, bereitete dieser Blütezeit ein Ende. Die Einführung von Dampfschiffen und Landmaschinen drückte die Preise und machte den mühsamen Anbau an den Hängen des Vulkans unrentabel. Wie in vielen Dörfern Süditaliens begannen die Leute auszuwandern. Ein besonders heftiger Vulkanausbruch im Jahr 1930, der fünf Todesopfer forderte, tat ein übriges; die Insel wurde immer leerer, bis sie nur noch 180 Einwohner zählte.

Ende der vierziger Jahre entdeckte der Regisseur Roberto Rossellini die verlassenen Inseln als Kulisse für seinen Film „Stromboli – Terra di Dio“. Sein Werk machte nicht nur die Protagonistin Ingrid Bergman weltweit bekannt, sondern auch die Insel als Paradies für alle, die die Einsamkeit suchen. Die ersten Urlauber erschlossen die Insel, die Strombolianer erschlossen sich das Geschäft mit dem Fremdenverkehr.

Ein Pfarrer ist Schlüsselfigur in der Geschichte des Tourismus auf Stromboli. Don Antonio predigte nicht nur in der wunderschönen Kirche San Vincenzo, er galt als der Padrone der Insel und als ihr Retter, denn er hat mit Hilfe seiner politischen Freunde in Rom und Palermo die Insel zu einem Ferienparadies gemacht. Er selbst profitierte auch davon, immerhin besaß er „Miramare Stromboli“, die größte Hotelanlage der Insel. Kein Geringerer als Andreotti gehörte zum Freundeskreis des Christdemokraten, und noch bevor er in den Verdacht der Mafia-Verstrickung geraten konnte, machte Don Antonio sich davon. Er starb Anfang des Jahres. Sein Plan, eine Seilbahn auf den Vulkan zu bauen, ist damit hoffentlich auch begraben.

Inzwischen bestimmt der Tourismus das Leben auf der Insel. Knapp die Hälfte der 500 Bewohner sind Zugereiste aus Neapel und Sizilien. Sie versuchen, in der kurzen Saison so viel Geld zu machen, daß sie den Rest des Jahres noch davon leben können. Morgens, wenn in der Dämmerung die große Fähre aus Neapel ankommt, stehen sie mit ihren dreirädrigen Ladern am Quai, um die neu ankommenden Touristen mitsamt ihrem Gepäck hinten auf die Ladefläche zu packen und sie in ihre Herbergen zu schaffen, wo jede mögliche Kammer zu einem Fremdenzimmer hergerichtet wurde. Autos gibt es auf Stromboli nicht. Die Gassen zwischen den schneeweißen kubisch gebauten Häusern mit den grellblau gestrichenen Fensterläden sind so eng, daß die knatternden Dreiräder gerade hindurchpassen, wenn sie im Affenzahn hinauf ins Dorf rasen.

Wer heute noch etwas von dem Verlassene-Insel-Flair erleben möchte, kommt am besten in der Nachsaison. Von Oktober bis April sind fast alle Ferienhäuser und Boutiquen verrammelt, die Piazza vor der Kirche ist menschenleer, und die Stille über dem Dorf erlaubt es, dem Wind zuzuhören, der seltsam sphärische Töne erzeugt, als gäbe es irgendwo zwischen den Häusern und dem Lavagipfel Windorgeln.

Echte Abgeschiedenheit ist in Ginostra zu finden, dem zweiten Ort auf dem Vulkan, der genau am anderen Ende der Insel liegt. Es gibt keinen Fußweg vom Hauptort Stromboli dorthin, außer einem beschwerlichen Pfad über den Gipfel, den schon Ingrid Bergman im besagten Film verfehlte. Lediglich mit einem kleinen Boot kann man Ginostra erreichen, wenn das Meer es erlaubt, in den winzigen Hafen hineinzugelangen.

Der Fischer Gaetano hat keine Lust, Touristen um die Inseln zu schippern. Er und seine Brüder, die auf Stromboli geboren sind, gehören zu den wenigen, die hier noch vom Fischfang leben. „Schau, wir sind großzügig.“ Lachend zeigt er mir sein ziemlich durchlöchertes Nylonnetz, „wir lassen den Fischen noch eine Chance“. Damit für seine Kinder auch noch welche übrigbleiben, sagt er. Viele Fische sind allerdings nicht mehr da. Sie reichen nicht mehr aus, um die Touristen in der Hochsaison satt zu machen. Heino, Gaetanos deutscher Freund, ist sauer, daß nach ihm noch so viele andere die Insel entdeckten. Seit dreizehn Jahren lebt er hier und muß nun feststellen, daß die Insel nicht mehr das Aussteigerparadies ist, das sie einst war. „Eigentlich wollte ich mir hier einen Platz auf dem Friedhof aussuchen“, sagt er resigniert, „aber wenn die Entwicklung so weitergeht, dann will ich hier wieder weg.“

Gaetano hingegen ärgert sich nicht über die Touristen. Er nimmt sie hin; sie kommen und gehen, lärmen und verwüsten ein bißchen, wie die Ausbrüche des Vulkans.

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