EU läßt sich vom Rinderwahn nicht verrückt machen

■ Gesundheitsminister Seehofer läuft mit seinen Warnungen in Brüssel vor die Wand / BRD soll Importstopp für britisches Rindfleisch allein beschließen

Brüssel/Dublin (taz) – Er habe keine Lust, sich in ein paar Jahren wegen fahrlässiger Tötung vor einem Untersuchungsausschuß verantworten zu müssen, rechtfertigte Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer in Brüssel sein Drängen auf einen deutschen Alleingang. Er werde der Bundesregierung unter anderem ein einseitiges Einfuhrverbot für britisches Rindfleisch empfehlen. Ausgenommen soll davon nur Fleisch sein, das von Tieren stammt, die nicht älter als drei Jahre sind und aus Herden kommen, die seit mindestens vier Jahren BSE-frei sein müssen. An der Rinderseuche BSE (Bovine spongiforme Enzephalopathie), bekannter als Rinderwahnsinn, sind in Großbritannien mittlerweile mehr als 120.000 Tiere eingegangen.

Es sei zwar nicht erwiesen, daß BSE auf den Menschen übertragen werden könne, aber es sei nach dem aktuellen Stand der Wissenschaften nicht auszuschließen, so der Bundesgesundheitsminister. Deshalb hatte er auf einer Sondersitzung in Brüssel seine Kollegen aus den anderen elf Ländern der Europäischen Union aufgefordert, ein eingeschränktes Exportverbot für britisches Rindfleisch zu verhängen – und war damit gegen die Wand gelaufen.

Großbritannien: Seehofer ist völlig isoliert

„Es stand elf zu eins“, kommentierte der Staatssekretär im britischen Gesundheitsministerium, Brian Mawhinney, das Ergebnis, „Seehofer war völlig isoliert.“ Kevin Taylor, Veterinär im Londoner Landwirtschaftsministerium, fügte hinzu, daß „die Deutschen keinerlei Beweise vorgelegt“ hätten. „Die Situation ist nicht: wir gegen die Deutschen“, sagte er. „Sie ist: die Deutschen gegen alle anderen.“ Frankreich und Dänemark stimmten lediglich einer Prüfung weitergehender Maßnahmen zu – etwa welche Auswirkungen ein europaweites Verbot von Futter aus Tiermehl auf den Markt haben würde, oder was eine einheitliche Meldepflicht für die Creutzfeld-Jakob-Krankheit bringen könnte.

Das Creutzfeld-Jakob-Syndrom ist eine Gehirnkrankheit bei Menschen und steht im Verdacht, durch den gleichen Erreger wie der Rinderwahnsinn ausgelöst zu werden – zumal der BSE-Erreger längst die Artenbarriere übersprungen hat: Bei Laborversuchen ist er unter anderem auf Mäuse, Nerze, Ziegen und Affen übertragen worden; Katzen haben sich durch infiziertes Dosenfutter angesteckt. Außerdem steht inzwischen fest, daß der Erreger vertikal – also von der Kuh auf das Kalb – übertragen werden kann. Bei einer Inkubationszeit beim Menschen von fünf bis 35 Jahren wäre ein Warten auf einen wissenschaftlichen Beweis für die Übertragbarkeit äußerst leichtsinnig.

Einige Gesundheitsminister teilen nach Seehofers Einschätzung die deutschen Bedenken, daß die britischen Maßnahmen nicht ausreichen, um eine Gefährdung für die Menschen auszuschließen. Doch noch größer scheinen ihre Sorgen um die europäische Agrarmarktordnung zu sein. „Wenn es an den Markt geht“, mußte Seehofer feststellen, „dann fällt bei denen die Schranke.“ Die Minister fürchten offensichtlich, mit einem Exportverbot für britisches Rindfleisch die Schwelle anzuheben, was in Europa als gesundheitlich unbedenklich auf den Markt gebracht werden darf und was nicht.

Sollte die Bundesregierung ernst machen und die Rindfleischeinfuhren aus Großbritannien – sie machen etwa 20 Millionen Mark im Jahr aus – im Alleingang einschränken, dann wird es wohl zu einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof kommen. Der müßte klären, ob die Bedenken der Deutschen gerechtfertigt sind. Nach den Regeln des Binnenmarktes ist britisches Rindfleisch entweder für alle Europäer gefährlich, oder für keinen. Alois Berger und Ralf Sotscheck