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Das Arbeitsamt, dein Freund und Helfer

302 Millionen will die Bundesanstalt für Arbeit durch monatliche Meldekontrollen eingespart haben Doch das monatliche „Antanzen“ der Arbeitslosen stößt auf rechtliche Bedenken  ■ Von Vera Gaserow

Berlin (taz) – Die Betroffenen murrten, die Arbeitsamtsmitarbeiter stöhnten, die Bundesanstalt für Arbeit (BA) feierte einen „bedeutenden Beitrag zur Bekämpfung des Leistungsmißbrauchs“: Per Runderlaß hatten die obersten Verwalter der Arbeitslosigkeit im Februar 93 eine Sonderaktion angeordnet: zur „verstärkten Aufdeckung des Leistungsmißbrauchs“ und zur Bekämpfung von „unsolidarischem und unsozialem Verhalten“ sollten ein halbes Jahr lang Arbeitslose einmal monatlich zu Kontrollbesuchen vorgeladen werden. 50 Prozent der Klientel im Westen, 30 Prozent der im Osten hatten alle vier Wochen ihre arbeitslose Existenz durch Erscheinen unter Beweis zu stellen.

Nach Abschluß dieser sechsmonatigen Aktion vermeldete die BA eine Erfolgsbilanz: Einsparungen von 302 Millionen Mark, so die Behauptung, hätten die Meldekontrollen gebracht, denn bei Nichterscheinen zum monatlichen Termin wurde den Betroffenen für zwei Wochen das Geld gestrichen. Etliche Arbeitslose wurden zudem ganz aus dem Leistungsbezug „ausgemustert“. 6,8 Millionen Meldeaufforderungen schickten die Arbeitsämter republikweit raus. Doch diese Kontrollen, so gesteht jetzt ein Schreiben des Marburger Arbeitsamtes indirekt ein, gingen offenbar nicht mit rechten Dingen zu. Dem Widerspruch eines Betroffenen gegen die Vorladung gab das Arbeitsamt jetzt „in vollem Umfang“ statt.

Beschwerdeführer Gerd R. war gerade vier Monate arbeitslos gemeldet, als ihm der Brief des Arbeitsamtes ins Haus flatterte. „Wie Ihnen sicherlich bekannt ist, bin ich gehalten, arbeitslose Leistungsempfänger monatlich zur Meldekontrolle einzuladen“, schrieb da „mit freundlichen Grüßen Ihr Arbeitsvermittler“ und mahnte zum pünktlichen Erscheinen. Andernfalls drohe eine 14tägige Sperre der Arbeitslosenhilfe. Gerd R. kam der Vorladung nur „unter Protest“ nach und schickte einen schriftlichen Widerspruch: das Arbeitsförderungsgesetz, so argumentierte er, sehe Vorladungen in kurzen Zeitabständen nur vor, wenn „der begründete Verdacht“ besteht, daß ein Arbeitsloser heimlich doch arbeitet. Dieser begründete Verdacht sei aber nicht gegeben, wenn die Arbeitsämter pauschal die Hälfte ihrer Klientel vorlüden. Zweck einer Vorladung, so sieht es außerdem eine Anordnung der BA vor, darf nur die Vermittlung einer Ausbildungs-, Arbeitsstelle oder Bildungsmaßnahme sein. Von einer Vermittlung jedoch war bei dem monatlichen Termin des Gerd R. keine Rede. Rund 15 Leute hatte das Arbeitsamt zur selben Zeit bestellt, um dann ihre Anwesenheit zu kontrollieren.

Gerd R. erhob Klage beim Sozialgericht gegen diese „Schikane“. Doch bevor es zu einer gerichtlichen Überprüfung kommen konnte, gab das Marburger Arbeitsamt jetzt seinem Widerspruch statt und entschuldigte sich sogar, daß man ihm nicht sofort recht gegeben habe. Gerd R. sieht sich bestätigt, zahllose Arbeitslose jedoch, denen das Geld gekürzt wurde, weil sie zum Termin nicht erschienen, können die entgangenen Leistungen nicht mehr zurückfordern, wenn sie nicht Widerspruch gegen die Kontrollen eingelegt haben. Auch etliche Arbeitsamtsmitarbeiter sehen sich nun bestätigt. Sie hatten von vornherein gegen die monatlichen Meldekontrollen protestiert, weil die den gesamten Betrieb lahmlegten.

Den Bonner Gesetzesmachern scheinen ebenfalls Bedenken gekommen zu sein. Wohl nicht zufällig haben sie das Arbeitsförderungsgesetz Ende des Jahres so geändert, daß Vorladungen jetzt nicht nur zum Zweck der Arbeitsvermittlung möglich sind, sondern auch „zur Prüfung des Vorliegens der Voraussetzung des Anspruches“ auf Arbeitslosengeld oder -hilfe, sprich: zur Kontrolle. Künftig, so fordert die BA, müssen Arbeitslose mindestens einmal im Vierteljahr persönlich auf „ihrem“ Arbeitsamt erscheinen. Telefonische oder schriftliche Meldung reichen nicht mehr aus.

Eine Anordnung, so die Mitarbeiterin eines Berliner Arbeitsamtes, die „uns alle in den Wahnsinn treibt. Wir ersticken in Arbeit, und zu den eigentlichen Sachen kommt man nicht mehr.“ Mehr als hunderttausend Menschen müssen Woche für Woche schriftlich eingeladen und kontrolliert werden. Bestimmte Berufsgruppen, denen man Schwarzarbeit unterstellt, werden in „Blitzaktionen“ sogar von einem Tag zum anderen bestellt. „Das alles bedeutet einen Verwaltungsaufwand“, so die Fachfrau, „der in keinem Verhältnis zur Effizienz der Maßnahme steht.“ Wer tatsächlich schwarzarbeitet, kann sich auch einen Tag im Monat freinehmen für den Gang zum Arbeitsamt. Die Ämter kommen währenddessen kaum noch zu ihrer eigentlichen Tätigkeit, der Arbeitsvermittlung. Auch so kann man privaten Arbeitsvermittlern das Feld bereiten.

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