: Lindan im Gemüseallerlei für Babys
■ Baden-Württembergs Lebensmittelkontrolleure entdeckten Insektizid in Kindernahrung / Die Öffentlichkeit wurde nicht informiert / Umweltministerium: Gefahr "maßlos aufgebauscht"
Stuttgart (dpa/taz) – „Maßlos aufgebauscht“ lautet der Kommentar des baden-württembergischen Umweltministeriums zur Entdeckung belasteter Babynahrung. Das ZDF hatte am Samstag abend berichtet, baden-württembergische Lebensmittelkontrolleure hätten im Gemüseallerlei einer spanischen Firma Ende letzten Jahres überhöhte Werte des Pestizids Lindan sowie Nitrate entdeckt. Der Lindan-Grenzwert der Diätverordnung von 0,01 Milligramm pro Kilogramm sei um das Vierfache überschritten worden. Aus Furcht vor Regreßansprüchen seien aber weder die Behörden anderer Bundesländer noch die Öffentlichkeit informiert worden.
Das Stuttgarter Umweltministerium bestätigte, daß bei Untersuchungen von Babykost einer Importcharge aus Spanien Mitte Dezember 0,038 Milligramm beziehungsweise 0,048 Milligramm Lindan pro Kilo festgestellt worden seien. Daraufhin hätten die Behörden die Vertriebsfirma veranlaßt, in einer Rückrufaktion bei Groß- und Einzelhändlern die aus 78.000 Gläschen bestehende Lieferung innerhalb von ein paar Tagen vom Markt zu nehmen. Wie viele der 200-Gramm-Gläschen bis zur Rückrufaktion Anfang Januar verkauft wurden, sei nicht bekannt.
Der Ministeriumssprecher wiegelte bei der Gefahrenabschätzung ab: Bei den Grenzwerten handele es sich um Hochrechnungen für mehrjährigen und dauernden Verzehr. Das Risiko möglicher Erkrankungen beginne für Kinder bei ein bis zwei Milligramm Lindan pro Kilogramm. Ein Baby müsse innerhalb weniger Tage zehn bis 20 Kilogramm dieser Nahrung zu sich nehmen, um in einen möglicherweise toxischen Bereich zu kommen.
Das Ministerium wies zudem Vorwürfe zurück, die Bevölkerung nicht rechtzeitig und umfassend informiert zu haben. Der Importeur habe die beanstandeten Chargen sofort zurückgezogen. Zudem seien keine konkreten Gesundheitsgefahren zu befürchten gewesen. Gemäß der Landesgesetzgebung habe also keine Veranlassung bestanden, die Öffentlichkeit zu alarmieren. Der Fall entspreche in seiner Bedeutung Tausenden von Verstößen gegen das Lebensmittelrecht, die jährlich entdeckt werden.
Lindan ist ein farb- und geruchloses Insektizid, das seit 1980 in der Bundesrepublik verboten ist. Seit 1984 wird es hierzulande nicht mehr produziert. Das Mittel wirkt gegen Bodeninsekten und Haushaltsschädlinge, aber auch gegen Kopfläuse beim Menschen. Ebenso kommt es als Holzschutzmittel zum Einsatz. Bereits ein Milliardstel eines Milligrams tötet eine Fliege. Beim Menschen kann es das Nervensystem schädigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen