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The Green Superstar

■ Die International Herald Tribune und das Hamburger Rathaus / Ein Lauschangriff Von Christoph Bersting

Wann hat es das zum letzten Mal gegeben? Im Rathaus wurde gestern ein Blatt aufs intensivste studiert, daß die anglophilen unter den hiesigen Kirchturm-Politikern sonst nur in äußerst seltenen Stunden der Muße zur Hand nehmen: Die International Herald Tribune. Genauer gesagt, die Montagsausgabe des renommierten Ami-Blatts. Noch genauer, der darin auf Seite zwei abgedruckte Teil einer Porträt-Serie über die (politischen) „Führungskräfte der Zukunft“. Wer grinst uns da, geschickt aufs Fahrrad drapiert, als bundesdeutsche Politikerin der Zukunft entgegen? Jawohl - niemand anderes als GAL-Fraktionschefin Krista Sager. Deutschland hat einen neuen Superstar. Die taz hat die ersten Reaktionen im linken (Bürgerschafts-) wie im rechten (Senats-)Flügel der Hamburger Polit-Zentrale belauscht:

„Köööhn!!“ - das ist die Pressesprecherin des Bürgermeisters - „Köööhn!!! Sofort herkommen! Wieso steht diiiieee da drin und nicht ich?! Köööhn!“ Eilige Schritte. „Ja, äh ... also Herr Bürgermeister“, Jutta Köhns Stimme klingt bedrückt, „äh, Sie wissen doch, wie das ist mit den Medien heutzutage, die stehen nun mal mehr auf junge Frauen.“ „Ausreden, nichts als Ausreden, seit Jahren ackere ich hier für das Wohl der Stadt ... und nicht mal die Süddeutsche nimmt Notiz davon. Alle halbe Jahr mal ne Lokalkoloratur in der taz. Und diiieee?!“ Voscherau versucht vergeblich, seiner Stimme einen süßlichen Klang zu verleihen. „155 Zeilen Eierkuchen ... Wer war denn Ihr Kindheitsidol? ... Marlon Brando. Soso. There was something lonely and sad about him. Nein wie nett - warum zum Teufel fragt mich keiner sowas?!“ „Aber Herr...“ Köhn dringt nicht durch. „Und hier. Der von Beust (CDU-Fraktionschef, d. Red) scharwenzelt auch schon um sie herum: Knows what she wants and how to get. Einfach liederlich, diese Anbiederei!!!“ Es poltert dumpf in der Amtsstube. „Aber Herr Bürgermeister...“ „Raus zum Teufel! Und nächste Woche will ich sowas über mich lesen! Washington Post! New York Times! Prawda! Rufen Sie überall an. Und sagen Sie schon mal, daß ich unheimlich auf Doris Day stehe.“ Eine Tür fällt leise ins Schloß.

Gemurmel hinter den dicken Mauern der grünen Bürgerschaftsfraktion. Ganz schlecht zu verstehen. „... will doch unbedingt ..., ... ganz geschickt ... und guckt mal, den Curilla macht sie auch gleich fertig ... an older man who had the charisma of an old slipper ... wirklich nicht dumm, die will ...“. „Kerstin!“ GAL-Geschäftsführer Uli Gierse kräht mit noch nicht ganz ausgeschlafener Stimme nach Pressesprecherin Domscheit. „Ich muß Dich mal unter vier Augen sprechen.“ Tür klappt. „Hast Du das lanciert? Erst die Stern-Story mit der künftigen Gesundheitsministerin Sager und jetzt dies: Leader of Hamburg Greens Rehearses a National Show. Das kann doch wohl kein Zufall sein!“ Betretenes Schweigen, dann Unschuldsstimme: „Ich hab' davon nichts gewußt, Uli, ehrlich nicht, ganz bestimmt.“ „Wer soll's denn dann gewesen sein? Krista in Bonn, New York, Hollywood! Das können wir uns nicht leisten, Kerstin. Guck Dir den restlichen Haufen hier doch an. Die können doch alle nicht mal fahrradfahren!“ „Ooooch, so schlecht sind sie doch gar nicht, der Martin, der Wilfried, Susanne...“ Domscheits Stimme versucht beruhigend zu wirken. Vergeblich. „Und wer bitte soll dann Fraktionsvorsitzende werden? Boehlich etwa? Zamory? Oder wer? Da lachen doch die Hühner!“ Kaffeetassenscheppern. „Nein, so geht das nicht weiter, Kerstin!! Sorg dafür, daß so etwas nicht noch mal vorkommt! Bis zu den Bundestagswahlen! Verstanden?“ Eine Tür fällt leise ins Schloß.

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