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Lustige Mutanten

■ Im Stimmbruch singen: Ansgar Müller-Nanninga unterrichtete früher den Mutanten-Chor, heute Knaben- & Mädchenchöre

„Leg den Finger auf die Zunge, und sing ein Ä.“ Die Stimmbildnerin Gudrun Hermelink macht es den Chorkindern vor. Die Jungs zieren sich häufiger als die Mädchen. „Jede Übung, die so'n bißchen an den Körper geht, finden sie komisch“, sagt sie. „Sie fragen eher nach irgendwelchen Regeln, wie bei Mathe. Dabei muß man beim Singen lernen, sich selber wahrzunehmen.“ Und wenn die Jungs in den Stimmbruch kommen wird es für sie meist noch heikler. „Aber man kann trotzdem weitersingen“, sagt Chorleiter Ansgar Müller-Nanninga, Leiter des Knabenchors der Unser Lieben Frauen Kirche und des Kinderchors der Musikschule.

Mit diesem Ansatz führte Müller-Nanninga ebenfalls einige Jahre lang den sogenannten „Mutanten-Chor“ für Jungen im Stimmbruch. Den Chor gibt es nicht mehr, anstelle dessen müssen die Jungs des Knabenchors in der Unser Lieben Frauen Gemeinde zweimal die Woche proben, um die schwankende Stimme zu stabilisieren. In den großen Knabenchören wie dem Tölzer Knabenchor oder die Wiener Sängerknaben werden die Jungs während des Stimmbruchs für ein halbes Jahr ganz aus dem Chor genommen. „Im Barock kamen die Jungen erst zwischen 15 und 18 in den Stimmbruch, heute meist schon mit 12 oder 13 Jahren“, sagt Müller-Nanninga.

Mit der richtigen Atemtechnik, dem Öffnen der Resonanzräume und das Ausbilden des Stimmsitzes könnten die Jungs nicht nur ihre Zeit im Knabenchor verlängern, sondern eine Singfreude für's Leben erlernen, findet er. Denn damit man die Stimme als seelisches Ausdrucksmittel oder Ventil benutzen könne, als Möglichkeit Freude und Trauer Raum zu geben, sei die intensive Stimmbildung unabdingbar.

„Bei einem von euch ist noch ein Vorgeräusch“, sagt er mit strenger Stimme zu den etwa dreißig Mädchen von der Musikschule. „Noch mal.“ Er wendet sich wieder dem Flügel zu, aber mit seinen Ohren hängt er förmlich an den Lippen der Mädchen. „Bewußt spüren, wie sich die Zunge vom Gaumen löst... und auf ,dum' singen.“ Die kleinen, konzentrierten Gesichter zucken, als er entnervt aufruft:“ Nein, so nicht, nicht den Mund so voll vom ,M' nehmen.“ Dafür lächeln die Mädchen wieder, als sie Lob für ihr ,rundes I' ernten. Die Verbesserungen empfinden sie nicht als Schikane. „Es macht immer Spaß“, sagt die 14 Jährige Nina. Und ihre Chorkameradinnen nicken zustimmend.

Die Kinder sind in allen Chören unterschiedlich alt. „Ich versuche die Kinder nach ihren Erfahrungen zusammenzufassen“, sagt Müller-Nanninga. Trotzdem verstehen auch die älteren Mädchen nicht immer die Liedertexte. Bei dem vertonten Gedicht von Brentano zum Beispiel: „Wenn der lahme Weber träumt“, da „träumt die taube Nüchternheit, sie lausche; wie der Traube Schüchternheit berausche“. „Nö, der Text ist nicht so wichtig, Hauptsache es ist Spannung und Action dabei“, lacht Kitty.

Vivianne Agena

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