: Palermo sehen und leben
■ Im Cinema: Der Dokumentarfilm „Gezählte Tage“ über den Kampf gegen die Mafia
Wessen Tage sind denn da gezählt ? Der von der Mafia zum Tode verurteilte italienische Politiker Leoluca Orlando fand diesen Titel für sein Filmportrait dann doch etwas makaber – auch nachdem Regisseur Wolf Gaudlitz (das Cinema beginnt mit diesem Film eine kleine Werkschau) ihm eiligst versicherte, daß natürlich die Tage der Mafia gezählt seien. In Italien heißt der Film also „Erzählte Tage“ – und das Streitgespräch über den Titel ist eine der Schlüsselszenen des Films. Denn hier zeigt sich, daß Orlando zumindest genausoviel Kontrolle über den Film hatte wie der Regisseur – ein Portait über einen Medienprofi ist auch immer eine Selbstinszenierung. Aber immerhin macht Gaudlitz diesen Mechanismus in seinem Film deutlich.
Der Film begleitet den Exbürgermeister von Palermo einige Wochen lang bei seinen alltäglichen Aktivitäten gegen die Mafia: bei Talkshows, Kundgebungen, Versammlungen und Reisen ins europäische Ausland – immer umringt von Leibwächtern, immer unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen. Sogar das Kamerateam selbst wird als Bedrohung empfunden: Als es dem Autokonvoi des Politikers durch die Innenstadt Palermos folgt, wird es mit entsicherten Maschinengewehren von der Polizei gestoppt. Gaudlitz versucht erst garnicht – gemäß den Konventionen des traditionellen Dokumentarfilms – sich und sein Filmteam unsichtbar zu machen und so zu tun, als filme er die „Realität“, ohne diese selbst zu verändern. Und gerade diese Reibung zwischen Inszenierung und Dokumentation macht den Film so spannend und entlarvend.
Da läßt Gaudlitz Kinder in den Straßen von Palermo Szenen aus den Prozessen gegen die Mafiabosse nachspielen, da fragt er im Dorf Corleone (durch den „Paten“ weltberühmt geworden) nach der Adresse der Angehörigen von Mafiabossen und bekommt natürlich nur Türen vor der Nase zugeschlagen. Und das Kamerateam schleicht sich frech ins Rathaus, gerade zur rechten Zeit, um einen der vielen Rücktritte zu filmen.
Bei anderen Szenen hat offensichtlich Orlando die Befehlsgewalt. Etwa, wenn er sich imposant vor dem Ätna oder dem Hafen von Palermo plaziert und zu philosophieren beginnt. Interessanterweise kommt er gerade in diesen Szenen am schlechtesten weg: Hier entpuppt er sich als ein selbstherrlicher Feldherr, während er in den ganz alltäglichen Szenen oft wie ein tapferer, einsamer David wirkt. Manchmal ist der Film ein wenig unordentlich, mit abrupten Sprüngen und viel Pathos, aber vielleicht wird er gerade so den italienischen Zuständen gerecht. „Hier ist es streng verboten zu filmen, aber wenn sie schon mal da sind !“ – wo anders kann man solch unoffizielle Töne von einem uniformierten Wächter hören.
Wilfried Hippen Cinema; Do. 18 Uhr, Do. – So. 19.30 Uhr. Leoluca Orlando wollte heute abend selbst nach Bremen kommen, mußte aber absagen
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