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Kaiser Wilhelm rettete das Tivoli

■ Es lebe das Vorstadtkino!

Drei Dinge wünscht sich der passionierte Kinogänger: erstens, daß sein Kino um die Ecke liegt, nicht weiter entfernt als – sagen wir – 15 Minuten Fußweg, zweitens, daß sein Kino ein Saal ist und keine Kabine, und drittens, daß sein Kino bereits den Kartenverkauf veredelt und auch einen schlechten Film rechtfertigt. Wer im Ostteil Berlins wohnt, kann dies Glück noch in einem der Vorstadtkinos genießen.

Aber es ist brüchig. An der Kinokasse des Tivoli in Pankow liegt nun seit anderthalb Jahren eine Unterschriftenliste für den Erhalt aus. Die Erbin der Vorbesitzer wollte es Ende 1992 schließen und die Immobilie verkaufen. Im April kommt es nun mit seinen dunkel gebeizten Stühlen, den genoppten Sofas im Foyer und den 400 Sitzen unter den Hammer. Was anderswo das Todesurteil bedeutet, ist im Falle des Tivoli aber ein Lichtblick.

Öffentlich informierte der Auktionator, daß auf dem Grundstück „Kino im derzeitigen Umfang erhalten bleiben“ muß. Damit orientiert er sich an einem Beschluß der BVV Pankow vom September 1992, der auf Initiative von Bündnis 90/Die Grünen nur ein „bewirtschaftungsfähiges Kino“ an Stelle des Tivoli zuläßt und „kein Alibikino mit 50 Plätzen“, wie es der derzeitige Betreiber Arndt Karcher ausdrückt.

Unabhängig voneinander bildeten sich im Juli 1992 zwei Bürgerinitiativen, nicht nur, um das letzte Kino in Pankow zu erhalten, sondern vor allem den historischen Ort: Am 1.Januar 1895 führten hier im Hinterzimmer des Vorstadtlokals „Feldschlößchen“ die Brüder Max und Emil Skladanowsky erstmals ihre „lebenden Bilder“ mit Hilfe des von ihnen konstruierten „Bioscops“ vor. Unter den Gästen der ersten Filmvorführung befanden sich neben Kaiser Wilhelm auch die Direktoren des Varietés Wintergarten, die die Skladanowskys vom Fleck weg engagierten.

Die beiden Bürgerinitiativen gingen im letzten August in dem Verein „Die ersten 100 Jahre Kino in Berlin“ auf, dessen Vorsitzender Wim Wenders wurde und dessen Vorbild die Gründung „Das erste Jahrhundert des Kinos“ in Paris unter Michel Piccoli ist. Das Jubiläum des Kinos und seine Geschichte sollen, so der Geschäftsführer des Vereins, Sigurd Schulze, mit Filmvorführungen in Anwesenheit der Regisseure im Tivoli und einem dreiteiligen Episodenfilm der Filmhochschule München unter der Leitung von Wim Wenders über die Brüder Skladanowsky gewürdigt werden.

Vielleicht erwärmt sich auch jemand für die DDR-Filmplakate, die derzeit noch die Wände des Tivoli zieren und die für Produktionen aus Osteuropa, aber auch aus dem Westen werben. Alte Bekannte wie Götz George in „Abwärts“ lächeln da milde herab. Bei „Crocodile Dundee“ rahmen zwei Kinderbuch-Krokodile den Hauptdarsteller ein, und darunter heißt es gediegen: „eine australische Filmkomödie mit Paul Hogan“. Stefan Matzig

Tivoli 1 und 2, Berliner Straße 27, Pankow, Telefon: 476 46 48.

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