Zwischen den Rillen: Wir, Swinger
■ Shake your Cocktail Shaker: Combustible Edison und das Brian Setzer Orchestra
Die Rezession holt auch die Musik ein. Hysterische Fröhlichkeit auf Platz eins der britischen Charts mit „Doop“ von Doop – schon fast Ragtime. In Spex wird Combustible Edison zur Platte des Monats – mit schwülen Swingarrangements. Und Vorzeige-Rockabilly Brian Setzer stellt sich eine Big Band zusammen, um die Wurzeln des Rock'n'Roll in dezent deftigen Bläsersätzen wiederzufinden. Die amüsante Krise vor dem Kollaps, wie damals in den „wilden“ Zwanzigern?
Bei Setzer wundert einen ohnehin alles oder nichts mehr. Schon als er mit seinen Stray Cats Mitte der Achtziger das kommerzielle Sahnehäubchen auf der im Untergrund tobenden Rockabilly- und Psychobilly-Welle abgab – und früh mit prächtigen Tattoos auf nackten Oberarmen den Alleinvertretungsanspruch auf den nie ausgestorbenen Ted anmeldete –, war seine Herangehensweise an die geliebten Fifties so respektvoll wie die der Putzfrau aus der Werbung an den Goldschatz: Ganz liebevoll den Staub abwischen, damit auch genügend Goldkrümelchen hängenbleiben.
Genau so macht er es jetzt wieder mit seinem Crossover-Versuch von Good-old-time-Rock'n'Roll und Bigband-Sound. 17 Mann stark bläst und schrammelt sein Orchestra, dabei so entspannt, als wäre der Rock 'n' Roll eine schmerzlose Halbstundengeburt gewesen (eine Geburt, die so nie stattgefunden hat, denn immerhin zwei Jahrzehnte liegen zwischen diesen beiden Stilen). Es wird getröpfelt und getrötet, daß einem warm ums Herz wird im Café Keese beim Nachmittagsschwof, und Klassiker wie „Route 66“ oder „Brand New Cadillac“ kommen zahnlos daher wie ein alter Mann mit einem heimlichen Whiskeyrausch: Man riecht ihn nur, wenn man sich ganz tief runterbeugt.
Es ist nett, mehr nicht (aber auch nicht weniger), wie Setzer demonstrativ seine Vergangenheit abstreift, um sich in der Freundlichkeit seiner Herangehensweise dann doch unendlich treu zu bleiben. Schlußendlich ist er da angekommen, wo er sich wahrscheinlich schon immer am besten gefühlt hat: im rockin' and rollin' Museum.
Bei Combustible Edison liegt die Sache etwas verzwickter. Sämtliche Mitglieder spielten vormals – wenn auch nicht immer gleichzeitig – bei einer Bostoner College-Rock-Kapelle namens Christmas. Kern von Christmas ebenso wie von Combustible Edison waren bzw. sind Sängerin Liz Cox (alias Miss Lily Banquette) und Gitarrist Michael Cudahy (alias The Millionaire).
Was die Decknamen schon andeuten, macht der ursprüngliche Name des Quintetts überdeutlich: The Combustible Edison Helitropic Oriental Mambo and Foxtrot Orchestra. Der leicht entflammbare Edison ist überstilisiert, übergeschmackvoll und über die Maßen mit Vibraphonklängen ausgestattet. Auf „I, Swinger“ hüpft und schmelzt, schmust und schmeichelt es, daß jeder Second-hand-Anzug sich wünscht, bügelfrei auf die Welt gekommen zu sein. Oder wie es das Info formuliert: Dies ist die richtige Musik für dich, „wenn dein liebstes Rhythmus-Instrument ein Cocktail-Shaker ist“.
Wo Setzer seine Vorfahren umgarnt, daß sie ihn doch schon prae mortem zu sich ins R'n'R- Walhalla rufen mögen, setzen der Möchtegernmillionär und seine Mitstreiter um, was ihnen ihre Jugend an besonders leichtverdaulicher Muzak bereitgehalten hatte: Fernsehjingles, Barberieselung, Kaufhausbeschallung, Serienmusik und Latinorhythmen aus Reiseberichten. Der aufgesetzte Ernst hat zwar nichts an ins Lächerliche ziehender Arroganz an sich, aber eine gewisse souveräne Distanz ist jederzeit vorhanden. Im Gegensatz zum Beispiel zu Sade oder Spandau Ballet, der letzten großen Renaissance des puren Stils auf smooth groovendem Niveau. Daß hier nicht Täter aus tiefster Überzeugung zugange sind, läßt sich auch unschwer an den Plattenfirmen erkennen: SubPop, die Heimstatt von Grunge, für Nordamerika und City Slang, sonst zuständig für alles, was lärmt und möglichst amerikanisch klingt, für Europa. Man könnte fast meinen, der Rock, wie wir ihn kannten, habe seine Unschuld so radikal verloren, daß er am Ende wieder naiv wird – aber auf sehr raffinierte Weise. Als wäre der „Tiger von Eschnapur“ – so wie wir es uns als Kinder erträumten – niemals erlegt worden, schleicht die Melodica von Miss Lily in „The Veldt“ durch einen freundlich rhythmisierten Dschungel, der sich mindestens so kultiviert anhört, wie die Studioaufbauten damals nach Bonbons aussahen.
Guter Geschmack ist – soviel lernen wir daraus – keine Frage des Geldes, aber das einzige, woran man sich in diesen Zeiten (s.o.) noch halten kann. Wer den Hemdkragen am richtigen Fleck sitzen hat, fühlt sich danach zumindest besser.
Thomas Winkler
The Brian Setzer Orchestra: „The Brian Setzer Orchestra“ (Intercord).
Combustible Edison: „I, Swinger“ (City Slang/ EFA).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen