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Gefangen in der hausgemachten Falle des Populismus

■ Selten hat das Wechselspiel zwischen romantischem Nationalgefühl der Massen und opportunistischem Politikerkalkül das Land in eine derart verfahrene Lage gebracht

Peinlicher könnte die Lage nicht sein: Die griechische Regierung, die bis Ende Juni die EU- Präsidentschaft wahrnimmt, könnte binnen einer Woche auf der europäischen Anklagebank sitzen. Aber die Peinlichkeit ist nur einer Minderheit des griechischen Volkes bewußt, der große Rest fühlt sich von Europa unverstanden und im Stich gelassen.

Beides, die peinliche Lage wie die Unfähigkeit, sie überhaupt wahrzunehmen, geht auf den tief verwurzelten Populismus zurück, der die Beziehungen zwischen dem griechischen Volk und seiner politischen Klasse prägt. Doch selten hat das Wechselspiel zwischen romantischem Nationalgefühl der Massen und opportunistischem Politikerkalkül das Land in eine so verfahrene Lage gebracht.

Bekanntlich schleppt sich das Makedonien-Problem seit Ende 1991 durch die EG-Agenda. Weniger bekannt ist, daß es im Sommer 1993 fast gelöst worden wäre. Die Mitsotakis-Regierung hatte sich fast schon zu einem Kompromiß mit der Regierung Gligorov durchgerungen. Auf Vorschlag des UN- Vermittlers zeichnete sich am Horizont der Name „Nova Makedonia“ für die ehemals jugoslawische Teilrepublik ab. Dann stürzte die Regierung, und in der populistisch geschwängerten Wahlkampfatmosphäre waren nationale Tabus nicht mehr aufzuknacken. Zumal mit dem „Politischen Frühling“ eine neue Partei Furore machte, die von Mitsotakis' Ex-Außenminister Samaras geführt wurde und das Makedonien-Problem zu ihrem exklusiven Wahlkampfthema machte.

Die neue Pasok-Regierung unter Ministerpräsident Andreas Papandreou schien zunächst in ihrer eigenen nationalistischen Rhetorik befangen, übte sich dann aber überraschend schnell in Realpolitik. Als die meisten Staaten der Europäischen Union im Dezember 1993 den nördlichen Nachbarn als „Fyrom“ („Ehemalige jugoslawische Republik Makedonien“) anerkannten, fielen die Proteste in Athen ziemlich milde aus. Als Papandreou die EU-Präsidentschaft antrat, strich er überraschenderweise sogar die Namensfrage von der Liste griechischer Forderungen. Hätte Gligorov damals auf den Stern von Vergina als staatliches Symbol verzichtet, hätte Papandreou mit dieser Geste des guten Willens Politik machen und den populistischen Teufelskreis womöglich durchbrechen können.

Dann kam die erneute Kehrtwende zum Populismus, zum Entsetzen des Europa-Ministers Pangalos und der Experten im griechischen Außenministerium. Es war ein einsamer Entschluß des Andreas Papandreou, der damit auf eine ganze Serie innenpolitischer Zwänge reagierte: Die griechischen Wirtschaftsdaten sind lausig, die Pasok muß eine Politik von Schweiß und Tränen verkünden und zum Entsetzen der Mittelschichten erstmals eine wirksame Einkommensteuer einführen. Ernüchterung auch in der Außenpolitik wäre da zuviel des Guten gewesen. Zumal es Papandreou nicht gewagt hatte, der Clinton-Regierung entgegenzutreten und das Nato-Ultimatum gegen die Belagerer von Sarajevo zu blockieren. Das aber kam für die meisten Griechen – und Pasok-Anhänger – dem Verrat an den serbischen Freunden und Glaubensbrüdern gleich.

Als die USA dann auch noch den nördlichen Nachbarn anerkannten, ließ Papandreou seinen populistischen Reflexen freien Lauf. Mit Bill Clinton konnte er sich schlecht anlegen, deshalb wurde das Feindbild Gligorov aktiviert und ein Wirtschafsembargo gegen Makedonien verhängt.

Es war ein zynischer Entschluß, der sein eigenes Außenministerium in größte Verlegenheit brachte; eine Woche brauchte dieses, um sich eine notdürftige juristische Begründung für das Embargo auszudenken. Und wie so oft bei Papandreou ist seine Politik von eigensüchtigen Motiven mitbestimmt. Der gesundheitlich angeschlagene Ministerpräsident will nächstes Jahr ins weniger anstrengende Amt des Staatspräsidenten wechseln und die Pasok-Regierung von außen beaufsichtigen. Für seine Wahl könnte er im Athener Parlament auf die Stimmen der Samaras-Partei angewiesen sein, die in der Makedonien-Frage die griechische Position am kompromißlosesten verficht.

Wie die Papandreou-Regierung aus ihrer borniert nationalistischen Position herausfinden will, weiß in Athen heute niemand. Vage Hoffnungen richten sich auf den UN- Vermittler Cyrus Vance, der freilich nach der Klage der Europäischen Union Schwierigkeiten haben wird, Makedoniens Präsident Gligorov zu Konzessionen zu bewegen. Der griechische Nationalismus hat Gligorov erneut zum Gefangenen seiner eigenen Nationalisten gemacht, die ihm angesichts des griechischen Embargos Zugeständnisse – etwa in der Flaggenfrage – als nationalen Ausverkauf ankreiden werden. Deren Stimmen aber braucht er, um die Verfassung in dem von Vance und den EU-Partnern gewünschten Sinne zu ändern.

Wie in anderen Balkanregionen arbeiten sich die Chauvinisten beider Seiten wieder einmal reibungslos in die Hände. Nur daß seit dem Embargo-Beschluß die Griechen den Schwarzen Peter in den Händen haben. Übrigens zum Schaden gerade der griechischen Nordregion, die sich zu recht – aber mit verblendetem Alleinvertretungsanspruch – Makedonien nennt. Unter dem Embargo leiden nämlich nicht nur die Nachbarn im Norden, sondern auch der Hafen von Thessaloniki und die Unternehmen in ganz Nordgriechenland.

Griechenland hat, entgegen aller politischen Vernunft, das Kunststück vollbracht, sich selbst zu isolieren und sich dabei noch von aller Welt betrogen zu fühlen. Statt sich als einziges Land der Europäischen Union auf dem Balkan zu profilieren, hat es sich als einziges Balkanland in der EU erwiesen. Statt als EU-Mitglied zur Lösung des Balkanproblems beizutragen, ist es zum Teil dieses Problems geworden. Niels Kadritzke

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