: Volkspark-Kick Nicht nie, aber immer weniger
Die Stresemannstraße ist wie üblich satt tapeziert. Beim Blick durchs Wagenfenster weicht die Vorfreude auf das Spiel banger Verwirrung: „Leicht macht stark“ und „Schön durch Geiz“ weisen Werbeslogans zwischen Pferdemarkt und Bahrenfelder Chaussee immer wieder den neuen way of life. Kann in Zeiten, in denen Blödheit mit System auf riesigen Projektionsflächen unters Volk gebracht wird, packender Fußball gespielt werden? Nicht nie, aber immer weniger.
Sehr nahe am Nichts war denn auch das, was die 36.950 Fans in Stellingen zunächst vom Hamburger Sportverein geboten bekamen. Dies verwunderte, da am Sonnabend doch nur die Bremer zu Gast waren, ein Team, das zuletzt durch eine furiose Minusserie auf sich aufmerksam machte und im Hinspiel von den Elbjungs deutlich mit 2:0 düpiert wurde. Durchschnitt bahnte sich wieder einmal an am Volkspark. Die Menschen, die diesen Fußballnachmittag wider Erwarten über die Mittellinie hoben hießen nicht Wynton Rufer, Valdas Ivanauskas oder gar Yordan Letschkow. Nicht die Stars, sondern die unbekannten Volker Kollotzeks, Eddi Hurschmanns und Gero Wantullas auf den Rängen waren es, die schöpferische Glanzpunkte setzten. Sie entwickelten ihre eigenen Slogans.
Nach dem durch den fast fehlenden Widerstand des HSV zwangsläufigen 1:0 der Werderaner in der sechsten Minute – Andreas Herzog setzte eine Flanke von Thomas Wolter volley ins Tor – skandierte der Gästeblock geschlossen und schwungvoll „St.Pauli-St.Pauli“. Die Westkurven-Fans mutierten daraufhin mit herzlichen „FC Porto“-Rufen zum ersten Mal in dieser Saison zum vielbeschworenen dreizehnten Mann der Heimequipe. Eine Unterstützung, die sich eine halbe Stunde später auszahlte. Karsten „Air“ Bäron positionierte den von Harald Spörl vorgelegten Ball zehn Meter vor dem Kasten und schob ihn flach an Keeper Oliver Reck vorbei. 1:1 noch vor dem Pausenpfiff, das öffnete das Haus der Möglichkeiten.
Schotten dicht lautete daraufhin das Motto der Gäste in der zweiten Halbzeit. Der für Valdas Ivanauskas eingewechselte Ex-Norweger Jörn Andersen setzte zudem nach der Pause die Glücklosigkeit des Litauers kongenial fort. Auch Thomas von Heesen und Karsten Bäron konnten ihre „99prozentigen Chancen“ (Möhlmann) im letzten Sechstel des Spiels nicht mehr verwandeln.
Unentschieden also. Otto Rehagel – seine Eminenz scheint mit einer Bügelfalte im Rücken geboren worden zu sein – schien alles vorher gewußt zu haben: „Ich hab– Benno gesagt, daß ich ihm den UEFA-Cup-Platz gönne, aber wir hier auch gewinnen wollen.“ Wichtig durch nichtig“, oder was?
Claudia Thomsen
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