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„Die Dörfer brennen vollständig“

■ Der Krieg in Ruanda wird heftiger / Unter der Landbevölkerung im Süden wird massiv gebrandschatzt und geplündert / Die RPF-Guerilla verstärkt ihre Versuche, die Hauptstadt Kigali einzunehmen

Butare (taz) – Völlig unkontrollierte Gruppen von Soldaten, Milizionären und sonstwie Bewaffneten sind offenbar dabei, nicht nur in Ruandas Hauptstadt Kigali, sondern auch in ländlichen Gebieten im Süden ein Blutbad anzurichten. „Es ist völlig unmöglich, in die Dörfer hineinzugehen – sie brennen vollständig, und überall gibt es Massaker“, berichtete Herman Unglaub, Mitarbeiter der deutschen staatlichen „Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit“ (GTZ), der taz in der südruandischen Stadt Butare. Unglaub leitete ein Entwicklungshilfeprojekt in Mubuga, 60 Kilometer außerhalb der größten Stadt im Süden Ruandas. „Heute morgen um elf waren die Massaker einen Kilometer vor unserem Projekt“, sagte er gestern nachmittag. „Deshalb bin ich gegangen.“ Vor seiner Abreise war Unglaub mehrere Tage lang Zeuge von sich ausdehnenden Greueltaten.

„Erst werden die Häuser angezündet“, berichtet er. „Die Leute werden weggejagt. Wer sich in den Weg stellt, wird niedergemacht. Dann wird geplündert. Sie nehmen alles mit, von Matratzen bis zu den letzten Nahrungsmitteln.“ Die Täter sind nach seinen Aussagen Banden des ruandischen Mehrheitsvolkes der Hutu: „Hutus bringen Tutsis um. Die Leute werden mit Macheten zu Tode gehackt. Die Armee greift nicht ein. In Gegenden, in denen überwiegend Tutsis leben, ist es noch ruhig. Aber es ist wie eine Welle: Es beginnt in einem Ort, und dann geht es von Hügel zu Hügel weiter.“ Ähnliches berichten auch übereinstimmend lokale Verwaltungsmitarbeiter. Von „Tausenden von Todesopfern“ in dieser Region ist die Rede. bg

Heftige Kämpfe zwischen Armee und RPF-Guerilla

Kigali/Nairobi (dpa/AFP) – Die Bürgerkriegskämpfe zwischen den ruandischen Regierungstruppen und den Rebellen der Patriotischen Front (RPF) sind gestern in eine entscheidende Phase getreten. Die Hauptstreitmacht der Aufständischen umstellte die Hauptstadt Kigali. Die Front rücke „rasch und ständig näher“, sagte ein westlicher Diplomat. Eine Vorhut der Rebellen erreichte nach Angaben eines Sprechers die Vororte der Hauptstadt. Eine zweite Sondereinheit der Aufständischen, die im Parlamentsviertel stationiert und von Regierungstruppen umzingelt war, versuchte, den Ring zu durchbrechen. RPF- Anführer Alexis Kanyarengwe rief alle „friedliebenden Soldaten“, auf, die „Killerregierung“ zu bekämpfen. Nach französischen Radioberichten leisteten die Regierungstruppen jedoch der RPF unerwartet heftige Gegenwehr. Der Kommandeur der UNO-Truppen in Ruanda, der kanadische General Romeo Dallaire, versuchte in einer Pendelmission zwischen der ruandischen Interimsregierung und dem Rebellenhauptquartier einen Waffenstillstand auszuhandeln. Die von der UNO bereits am Sonntag verkündete Waffenruhe war zuvor wieder dementiert worden.

Soldaten der Regierungstruppen begingen derweil in Kigali neue Greueltaten. Militärs seien in ein Krankenhaus eingedrungen und hätten Patienten in ihren Betten getötet, meldete der britische Rundfunk BBC. Ein zweites Hospital sei bei den Bürgerkriegskämpfen am Sonntag von einem Raketengeschoß getroffen worden.

Die meisten in Ruanda lebenden Ausländer sind inzwischen aus dem Land evakuiert worden. Die nach Ruanda entsandten französischen Fallschirmjäger hätten ihre Aufgabe aber noch nicht erfüllt, sagte ein Sprecher des Pariser Außenministeriums. Auch Belgien begann, seine über 1.500 Staatsbürger mit Militärmaschinen auszufliegen. Das Bonner Entwicklungshilfeministerium erklärte gestern, die deutschen Entwicklungshilfeprojekte in Ruanda würden wegen des Krieges ausgesetzt. Auch die Ende 1993 zugesagte Finanzhilfe von 83 Millionen Mark werde eingefroren.

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