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Ausnahmezustand in München

■ Flächendeckendes Demonstrationsverbot anläßlich der Prozeßeröffnung gegen 13 Kurden

München/Berlin (taz/AFP/AP) – Zum gestrigen Beginn des „Kurdenprozesses“ präsentierte sich die Stadt München auf bayerische Art – nämlich ganz in Grün. Mehr als 3.000 PolizistInnen und Bundesgrenzschützer kontrollierten an 20 Punkten die Einfallstraßen und Autobahnen sowie Flughafen und Hauptbahnhof, wo Hunderte von Bahnreisenden überprüft wurden. Auf den Straßen kam es zu kilometerlangen Staus, weil Tausende Autofahrer kontrolliert wurden, einige mußten ihre Reservekanister in die Tanks entleeren. Zurückgewiesen wurde jedoch niemand, laut Polizei befanden sich keine Kurden unter den Kontrollierten.

Das Gericht war bereits frühmorgens abgeriegelt worden – selbst die Deutsche Presseagentur sprach von einer „Polizeifestung“. Der Prozeß gegen zwölf Kurden und einen staatenlosen gebürtigen Libanesen ist auf 45 Verhandlungstage terminiert. Sie müssen sich vor dem Bayerischen Obersten Landgericht wegen gemeinschaftlicher Geiselnahme in 23 Fällen und Nötigung eines Verfassungsorgans verantworten.

Ein Demonstrationsverbot durch Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) war gestern gerichtlich bestätigt worden. Sowohl das „Münchener Bündnis gegen Rassismus“ als auch die Verteidiger der Kurden durften nicht auf der Straße protestieren. Die von der Stadt München befürchteten „Krawalle“ blieben jedoch aus. Unmittelbar vor Beginn des Prozesses nahm die Polizei vor dem Gericht einen Kurden fest, der von einem Polizeibeamten als „ein mutmaßlicher Rädelsführer“ bei der Augsburger Autobahnblockade erkannt worden sein soll.

Die 13 Männer hatten laut Anklage am 24.Juni vergangenen Jahres das türkische Generalkonsulat in München gestürmt und 21 Angestellte als Geiseln genommen. Anschließend forderten sie Kanzler Kohl auf, in einer TV-Ansprache die Einstellung deutscher Waffenhilfe an die Türkei zu verkünden. Am späten Abend des Tages gaben die Besetzer nach Verhandlungen mit Kanzleramtsminister Schmidbauer auf. Die Vorgänge vom Juni führten im November zum Verbot der PKK.

Zu Prozeßbeginn beantragte die Verteidigung, das Verfahren einzustellen. Konsularische Vertretungen seien aufgrund internationaler Abkommen als Ausland anzusehen. Außerdem sei nicht klar, ob den Angeklagten Abschiebung drohe. Sie könnten sich nicht frei in dem Verfahren äußern, wenn sie strafrechtliche Konsequenzen in der Türkei fürchten müßten. Ein Verteidiger forderte die Bundesanwaltschaft auf, klar zu sagen, ob die Angeklagten ihre Haftstrafe in der Bundesrepublik absitzen müßten oder nach einem Urteil sofort ausgewiesen würden. „In diesem Gerichtssaal sitzen nicht nur wir, sondern auch der türkische Geheimdienst“, sagte er.

Verteidigerin Angelika Lex betonte, daß die Angeklagten mit ihrer „Aktion“ lediglich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erregen wollten. Auch die Bundesanwaltschaft räumt ein, die Kurden hätten „nach ihrem Tatplan jegliche Gewaltanwendung gegen die Geiseln ausgeschlossen“. Am Ende des ersten Prozeßtages erklärten die 13 Angeklagten, in einen befristeten Hungerstreik vom kommenden Freitag bis zum Dienstag nächster Woche treten zu wollen. Damit protestierten sie gegen das „Massaker am kurdischen Volk“. kotte Seite 10

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