■ Das Portrait: Ernesto Cardenal
Bald wird Ernesto Cardenal 70, und manchmal, so räumt er ein, fühlt er sich müde. Aber die Lust am Streiten, am Sich-Einmischen hat Cardenal noch nicht verloren. Derzeit ist der nicaraguanische Dichter und frühere Kulturminister auf einer dreiwöchigen Konzert- und Lesereise durch die Bundesrepublik unterwegs.
1965 wurde der aus wohlhabenden Verhältnissen stammende Cardenal nach langjährigen Studienaufenthalten in verschiedenen amerikanischen Ländern in Managua zum Priester geweiht. Gemeinsam mit Freunden gründete er ein Jahr später eine christliche Kommune auf dem Inselarchipel Solentiname im Nicaragua-See, das durch diese Gemeinschaft Weltruhm erlangte. In den siebziger Jahren war Cardenal im Widerstand gegen die Diktatur des damaligen Präsidenten Somoza aktiv. Nach dem Sieg der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) trat er als Kulturminister in die neue Revolutionsregierung ein.
Sein großes Ziel: Er will das Volk motivieren, selber Kultur zu schaffen. Die „Demokratisierung der Kultur“, wie Ernesto Cardenal sein Vorhaben nennt, wird zum politischen Schlagwort der nicaraguanischen Revolution. In den ersten Monaten seiner Amtszeit entstehen mehr als 30 Poesiewerkstätten, auch beim Militär und der Polizei. Das Kulturministerium fördert Initiativen im Bereich der Malerei, der Keramik, des Kunsthandwerks. Der Befreiungstheologe auf Tour durch die BRDFoto: Storz/Graffiti
Mitte der achtziger Jahre gewinnen bei den Sandinisten diejenigen die Oberhand, die auf Konzentration in der Kulturpolitik setzen. Die neue Devise: Nicht mehr Schwarzbrot für viele, sondern Kuchen für wenige – die Poesiewerkstätten, die Tanz- und Theatergruppen erhalten kein Geld mehr. Das Kulturministerium wird aufgelöst und Cardenal auf den politisch einflußlosen Vorstandsposten beim Nationalen Kulturrat abgeschoben.
Cardenals Philosophie läßt sich nur schwer einordnen. Er ist Christ und Marxist, Revolutionär und Anhänger der Gewaltlosigkeit, spricht aber gleichwohl vom „gerechten“ Krieg, dem revolutionären. 1980 wurde er mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. 1989 erschien sein bislang umfangreichstes lyrisches Werk, „Cantico Cosmico“. Ausschnitte aus diesem Buch wird Ernesto Cardenal auf seiner Lesereise vortragen. Reimar Paul
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen