: Nachschlag
■ Heribert Sasse im Hansa-Theater
Früher war alles besser. Da gab es noch teure aufwendige staatliche Bühnen in Berlin. Und nun muß Heribert Sasse, der einstige Generalintendant, im Hansa-Theater gastieren, als Regisseur und einziger Darsteller in einer Ein- Mann-Produktion. Auf einem einfachen Stuhl muß er sitzen und den Offizier spielen, vor einem schwarzen Vorhang, im schwarzen Anzug, nicht einmal eine Uniform leistete sich die Ausstattung, nicht einmal einen Säbel, der doch im Stück so eine wichtige Rolle spielt. Die Tränen möchten einem kommen ob dieser Misere, wüßte man nicht von Verhandlungen über das Schloßpark-Theater – und ginge es nicht um „Leutnant Gustl“, der mit seiner wackeren Art keine Rührseligkeiten zuläßt.
Auf eine gute Stunde hat Heribert Sasse die 30seitige Erzählung von Arthur Schnitzler gekürzt. Solange es beim reinen inneren Monolog bleibt, fand er dabei eine schöne Balance: Er führt uns in die Abgründe der Leutnants-Seele, die Freud und Schnitzler bloßgelegt haben, und stattet den Gustl mit der nötigen Sympathie aus, die wir brauchen, um den unglaublichen antisemitischen und dummdreisten Bemerkungen überhaupt folgen zu können. Zwar gibt Gustl zu, daß es „ihn manchmal vor sich selber graust“, aber das veranlaßt ihn keineswegs dazu, ein anderer zu werden. Er bleibt, was er ist: Selbstgefällig, antisemitisch, autoritätsgläubig, so freundlich wie böse – ein richtiger Wiener eben. Den „ewigen Spießer“ kehrt Sasse heraus, den scheinbar harmlosen Mann von der Straße. Abends sitzt er im Konzerthaus in einem Oratorium, das ihn langweilt, nachts streunt er durch die Straßen Wiens, bis er frühmorgens das Kaffeehaus betritt. Selbstmord oder Duell, so glaubt er, heißt die Alternative. Der Doktor hat seine Offiziersehre beleidigt, und auch vom Bäckermeister fühlt sich Leutnant Gustl beleidigt – weil der ihm an besagten (oben schon erwähnten) Säbel griff.
Wenig überzeugend gelingen Sasse die paar Sätze, die Gustl mit fiktiven Gesprächspartnern austauscht, und auf die pantomimischen Einschübe wie Türöffnen hätte man gut verzichten können. Die im Sommer 1900 entstandene Erzählung ist zwar nicht der erste innere Monolog der Literaturgeschichte, wie auf dem Plakat etwas übertrieben angekündigt wird – doch immerhin einer der schönsten Schnitzler-Texte.
Mit „Leutnant Gustl“ beginnt im Hansa-Theater eine Sasse- Gastspielreihe, die mit Tankred Dorsts „Ich. Feuerbach“ und Goethes „Werther“ fortgesetzt wird. Margit Knapp Cazzola
Weitere Aufführungen des Leutnant Gustl am 17., 20./21., 24., 27./28.4., 20 Uhr, im Hansa-Theater, Alt-Moabit 48, Tiergarten. „Ich, Feuerbach“ von Tankred Dorst beginnt am 29.4.
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