■ 15 Jahre taz according to Chefredaktion: Eine Antwort der Redaktion auf die Festschrift Michael Sontheimers: Rechts ist da, wo der Micha links ist
„Glaubst du, daß man mit diesem Haufen eine Tageszeitung machen kann?“ hatten sich Max und Micha damals, vor fünfzehn Jahren, gefragt, als sie ihr Baby aus der Taufe hoben. Es war um alles gegangen: das Kollektiv, „Soziales Experiment“, „Propagandainstrument der sozialen Bewegungen“. Anders leben, anders arbeiten, Geld spielte keine Rolle! Schon damals mußten sie alles zu zweit machen, weil die Tunixgute von Redaktionsköpfen sich in die Sonne verkrümelt hatten, die 1979 noch auf Setzer und Besetzte schien. Aber man tat's ja gern! Politik von unten, hieß unsere Devise damals, und die Staatsanwaltschaft kam 1980 innerhalb eines Monats gleich dreimal! Zu Micha!
Heut ist Micha ganz allein, und er hat seine Zweifel: „Für die taz entscheidende Momente wie Ironie, Leidenschaft, Unmittelbarkeit oder Subversivität drohen auf der Strecke zu bleiben“, schreibt unser Chef in der Festschrift. „Gelegentlich lästern wir in der Chefredaktion, daß in Zeitungen üblicherweise die Redaktionen eher links oder radikal und die Chefredaktion und die Verlagsleitung eher konservativ sind, nur bei uns ist es umgekehrt.“
Auch wir haben gelacht, mit dem Glas Kir Royal und unseren Perlenketten klirrend, herzlich gelacht, erleichtert irgendwie. Die „sozialen Bewegungen“ sind gar nicht hinter uns weggebrochen, sie waren nur über unsere Krawatten erschreckt und halten sich verborgen! Wir könnten eine starke Frauenbewegung, eine unbeugsame Ökobewegung, ja, eine Weltguerilla am Werk sehen, wenn wir nur die Porsche-Design- Brillen abgenommen hätten. Wir waren schuld, daß es nix geworden war mit Tunix, daß die Republik verschäubelt wird und daß die linken Leidenschaften in einem süssmuthschen Ganzkörperkondom gefangen wurden.
Wir bereuen aufs ingrimmigste, möchten aber untertänigst zu unserer Entschuldigung vorbringen, daß wir einen Gutteil der Zeit, die auf Erden uns gegeben ist, damit verbringen, das Aquarium, in dem unsere freischweifenden Chef-Rebellen sich tummeln, nach Zeichen abzusuchen. Wo sollen wir lang? Wo ist links, Micha?
Aus den äußerst anschmiegsamen Politikerinterviews, die Du im Superwahljahr führtest, wollt' es nicht so recht erhellen. Aus den Kommentaren irgendwie auch nicht: Demonstrieren die Leute in Lübeck, bezeichnest Du es als „Kinkelparade“, demonstrieren sie nicht, sind sie eine saturierte Rassistenmeute. Du hattest bei der Redaktion Wohlwollen gegenüber der PDS bestellt, aber bitte ohne zuviel Stasi-Turbulenzen. Du scheinst, wenn wir's recht gedeutet haben, der gesamten „politischen Klasse“ gegenüber das Näschen zu rümpfen, aber wenn dann Schäuble leibhaftig vor Dir sitzt, duftet's nach Irish Moos.
Richtig romantisch kannst Du werden, wenn's in Mexiko brodelt, da kommt glatt der faktische Abstand zwischen uns Krawattenträgern und den Zapatistas abhanden. Der Chefredakteur wünscht „Gegenkultur“, aber wenn eine Sache noch nicht im Spiegel stand, ist sie für ihn irrelevant; aber wehe, wenn sie schon im Spiegel stand! He, heißt's dann, wo bleibt die neue Scheibe von X? Der neue Film von dem wichtigen Y? Zum Glück fällt uns manchmal selbst was ein.
Wir haben damals, sechzig AutorInnen auf der Suche nach einem Chefredakteur, einen Namen gerufen und dann halt, mit besten Grüßen von der Zeit, auch nicht allzu viel mehr bekommen als einen hervorragenden Auslandsreporter. Die Tatsache, daß die meisten von uns das seit langem wissen und wenig bis gar nichts dagegen unternommen haben, ist das eigentlich erneut Bedenkliche an diesem unserem Geburtstag.
Dumpf düpiert haben wir zur Kenntnis genommen, daß die Lokalteile zugunsten von symbolischen Prestigeprojekten und kostspieligen vollmermundigen Gesten verkümmern; daß Talente im Hause ungenutzt und unbelobigt vor sich hin schlummern, daß Reporterinnen zu desorientierten Satelliten der Chefredaktion werden und daß sogenannte „langjährige Mitarbeiter“ in aller Öffentlichkeit als „Rechtsliberale“ verunglimpft werden.
Die taz ist vielleicht einer der letzten Gradmesser für what's left geworden, und manche von uns können in ihrem inneren Sturm und Drang eben schlecht vertragen, daß man erst mal Scherbengericht halten muß über dem Teller Bunte Knete von damals; daß eine Frauenseite nicht unbedingt die Bewegung ersetzt, daß ein eingekaufter Ostlinker noch keinen Schmusekurs mit dem unbekannten Nachbarn schafft, eine weggelassene Überschrift auf der Titelseite zwar apart ist, aber noch nicht Die Andere Zeitung.
Diesen Dingen wollte der Chef in der Jubiläumsausgabe nicht so recht zuleibe rücken, lieber ein bißchen Haue. Die Damen und Herren Re(d)aktionäre danken's. Die moral majority der Redaktion
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