Lichtspieltheater „Tivoli“ soll erhalten bleiben

■ Das älteste deutsche Kino wurde jetzt für 1,68 Millionen Mark an eine Geschäftsfrau versteigert / Vom Biergarten zur Wiege der Kinematographie

Das älteste Kino Deutschlands, das Berliner „Tivoli“, bleibt weiter in Betrieb. Das Lichtspieltheater wurde am Samstag für 1,68 Millionen Mark an die Berliner Vermögensverwalterin G. F. Schloss-Gräbert versteigert. Der Kaufpreis liegt über dem Mindestgebot von 1,5 Millionen, aber 420.000 Mark unter dem Verkehrswert.

„Das Kino wird bestimmt erhalten bleiben“, sagte die neue Besitzerin. Auktionator Mark Karhausen sagte, er habe einen höheren Preis erwartet. Wahrscheinlich seien aber die Banken bei der Vergabe von Krediten vorsichtiger geworden. Ursprünglich hatte die Erbin der Alteigentümer des Kinos die Immobilie für 2,6 Millionen Mark angeboten.

Sigurd Schulze, Geschäftsführer des Vereins „Die ersten 100 Jahre Kino in Berlin“, der sich für den Erhalt des Kinos eingesetzt hatte, sagte: „Wir müssen uns mit der neuen Eigentümerin arrangieren. Wenn sie das Kino weiter betreibt, wäre unser Ziel erreicht.“ Dagegen äußerten sich die derzeitigen Betreiber zurückhaltend: „Die Dame ist uns unbekannt. Zum Aufatmen haben wir noch keinen Anlaß.“

Die deutsche Wiege der modernen Kinematographie, also der „lebenden Bilder“, wie sie vom staunenden Publikum Ende des vorigen Jahrhunderts auch genannt wurden, stand in einem Ausflugslokal im damaligen Berliner Vorort Pankow. „Hier dürfen Familien Kaffee kochen“ ermunterten Schilder in solchen Biergarten-Lokalen die Menschen aus der Reichshauptstadt zu ihrem geliebten Brauch. Und hier führten die Berliner Brüder Skladanowsky 1895 die ersten bewegten Leinwandszenen vor.

Das Grundstück mit dem dort seit den zwanziger Jahren befindlichen Kino „Tivoli“, nach schweren Kriegsschäden heute ein Gebäude mit schmuckloser Fassade, wurde im Auftrag seiner Erbin versteigert. Es soll nach dem Willen des Vereins „Die ersten 100 Jahre Kino in Berlin“ mit Wim Wenders an der Spitze als Filmtheater gerettet werden und bei den Feiern zum 100. Geburtstag des Kinos im nächsten Jahr auch eine zentrale Rolle spielen. Der Verein, der zum „Skladanowsky-Jahr des Films 1995“ aufgerufen hat, kann sich im „Tivoli“ auch die alljährliche Verleihung der Bundesfilmpreise und des Europäischen Filmpreises „Felix“ vorstellen.

Die neue Eigentümerin will das Kino modernisieren und bezeichnet sich als leidenschaftliche Kinoliebhaberin: „Ich liebe alte Filme, besonders Lubitsch-Filme.“ Der legendäre Regisseur zahlreicher Komödien („Ninotschka“) wuchs in der Schönhauser Allee auf, die direkt vom Prenzlauer Berg in die Berliner Straße in Pankow übergeht. Im damaligen Pankower „Feldschlößchen“ und seinem Garten stellten die Brüder Max und Emil Skladanowsky im Mai 1895 mit dem von ihnen erfundenen Bioscop ihre ersten Filme her. Etwa zeitgleich, am 29. Dezember 1895, wurden auch die Brüder Lumière in Paris mit den ersten Filmversuchen gefeiert.

Die Skladanowskys, wozu auch Eugen gehörte, der sich später der „erste deutsche Filmschauspieler“ nannte, bereisten Städte im In- und Ausland, um ihr „Theater der lebenden Photographien“ zumeist als Jahrmarktsvergnügen vorzustellen. Ihre Streifen hatten Titel wie „Das boxende Känguruh“, „Komisches Reck“ und „Eine Fliegenjagd oder Die Rache der Frau Schultze“. Gefallen fanden beim Publikum auch ihre „Blätter-Bücher“, sogenannte Daumenkinos.

„Ohne mich jäb's det Kino nich“ heißt ein Dokumentarfilm über Max Skladanowsky von Wim Wenders. Die Tochter Lucie erinnert sich in dem 1985 gedrehten Defa-Dokumentarfilm („Die Wiege des boxenden Känguruhs“) an ihren Vater. Die Zeitungen der Hauptstadt nahmen vor 99 Jahren die ersten Gehversuche des Kinos amüsiert, aber mehr beiläufig auf. „Lehrreich und amüsant ist auch die Schlußnummer des Programms, das ,Bioscop‘“, schrieb der Berliner Lokal-Anzeiger im November 1895. Das Blatt sprach von einem „elektrischen Schnellseher“ und verwies auf Ähnlichkeiten zum „Kinetoskop“ von Thomas A. Edison. dpa/AP