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Nachschlag

■ Christoph D. Brumme las im Tränenpalast aus seinem Roman „Nichts als das“

Ein Sonntagabend spielerischer Ambivalenzen im Tränenpalast. Erster Auftritt: der jugendliche Herr Verleger. Mathias Gatza tritt vor die rund 50 Besucher, die an Bistrotischchen und in Stuhlreihen vor ihm sitzen. Sein Einführungsvortrag gilt dem von ihm verlegten „ersten DDR-Kindheitsroman nach der Wende“, Christoph D. Brummes „Nichts als das“. Peripatetisch hin- und herwandelnd verneint Gatza die selbstgestellte Frage, ob das Tagebuch eines Sieben- bis Vierzehnjährigen schon eine Kindheitserinnerung sei – da fehle die Erinnerung. Ihr Wesen gilt es nun zu erörtern, Proust muß genannt und die Wahrheitsfrage gestellt werden: „Es war so, oder es war so.“

Erinnerung und Erfindung, so viel ist zu erkennen, hält Gatza für zwei unverzichtbare Kennzeichen eines Kindheitsromans. Dann nehmen seine Kehrtwenden an Heftigkeit zu. Nur noch einzelne Worte – die DDR, die „Zonengrenze“, der Grenzort „Elend“ – dringen durchs Heulen und Donnern der U- und S-Bahnen im nahen Bahnhof Friedrichstraße. Plötzlich das Ende der Konfusion: „Ich werde jetzt einfach Christoph D. Brumme bitten, aus seinem Kindheitsroman zu lesen.“ Heiterkeit. Abgang.

Zweiter Auftritt: der nur wenig ältere Autor. Christoph D. Brumme tritt in den hellroten Lichtkegel, setzt sich an das Tischchen vor der Bühne und steht seinem Verleger zunächst nicht nach: Er gibt zu wissen, daß er erkältet sei und nicht laut lesen könne. Dann aber liest er recht deutlich aus seinem Roman, der von der Zurichtung des kleinen Jungen No erzählt. Die kurzen, meist aneinandergereihten Sätze zeichnen in großer Nähe zur Alltagssprache die beklemmende Enge eines kleinbürgerlichen, autoritären Elternhauses nach.

Weil der pedantische Vater die herrschenden Kommunisten – ein Wort, das Brumme mit leicht sächsischem Akzent liest – der Lüge zu überführen sucht, findet No keine eigene Identität: Der Vater repräsentiert nicht nur das gesellschaftliche System, sondern auch die Opposition. Nos kleine Fluchten müssen daher das Gesicht des Gehorsams tragen: Das Abräumen des Frühstückstisches wird als Krieg zwischen Russen und Deutschen inszeniert. Diese Geschichte von der Kindheit nicht als Idyll, sondern als kaum erträglichem Zwischenraum ist stimmig in der Sicherheitszone unmittelbar vor der „Staatsgrenze der DDR“ verortet: Die Bewohner des Dorfes Elend sind wie No Ausgeschlossene im eigenen Land.

Epilog: Da wissen die Besucher, warum sie sich im Tränenpalast eingefunden haben, dem einstigen Grenzübergang zwischen Ost und West. An die Stelle der Abfertigungsschalter ist allerdings eine Bühne getreten. Die Verwandlung der Wirklichkeit in Fiktion, hatte Gatza das gemeint? Oder darstellen wollen? „Nichts als das“? Jörg Plath

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