: Im Normalfall kein Konflikt mit dem Recht
■ Jürgen Schmude, Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland und Bundestagsabgeordneter der SPD, über den Widerstand gegen staatliche Anordnungen
taz: Herr Schmude, es gibt in Deutschland mehr als 200 Kirchengemeinden, die abgelehnten Asylbewerbern Asyl gewähren. Ihr Parteifreund, der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Schnoor, lehnt Kirchenasyl entschieden ab. Schnoor fürchtet eine „Relativierung des Rechtsstaates“ und hält es für „anmaßend, die Anwendung eines Gesetzes von einer Gewissensentscheidung abhängig zu machen“. Wie bewerten Sie Kirchenasyl?
Jürgen Schmude: Es gibt nicht nur 200 evangelische Kirchengemeinden in Deutschland, die sich um Asylsuchende kümmern, die Flüchtlingsarbeit machen und Hilfe gewähren, sondern sehr viel mehr. Das geschieht in unterschiedlichsten Formen. Da geht es zum Teil auch um Unterkunftsgewährung. Nur wenige verwenden dafür den aus meiner Sicht irreführenden Begriff Kirchenasyl.
Wieso irreführend?
Weil es im Grunde genommen nichts anderes ist als eine Unterbringung ohne großes Verbergen vor den Behörden. Der Schutz liegt darin, daß sich Kirchenmitglieder oder eine einzelne Gemeinde demonstrativ um die betreffenden ausländischen Bürger kümmern. Einen Schutz vor dem Zugriff der Behörden gibt es durch ein sogenanntes Kirchenasyl nicht. Das wäre rechtlich überhaupt nicht zulässig.
Ist es auch moralisch anmaßend?
Es ist irreführend – und darin können manche auch die Anmaßung sehen –, den Begriff Kirchenasyl so zu verwenden, als würde damit Widerstand gegen staatliche Anordnungen geleistet und als sei der Staat auch noch gehalten, ein solches Kirchenasyl zu respektieren und von der Durchführung seiner Maßnahmen abzusehen. Das ist nicht der Fall.
Diejenigen, die Kirchenasyl gewähren, berufen sich auf ihre Gewissensentscheidung und verweisen darauf, daß in vielen Fällen durch Kirchenasyl Gefahren für Leib und Leben von Flüchtlingen abgewendet werden konnten.
Es gibt zahlreiche Fälle, in denen sich Flüchtlingsräte und kirchliche Gruppen erfolgreich um das weitere Bleiberecht von Asylsuchenden bemüht haben. Die haben aber nicht immer von Kirchenasyl gesprochen.
Es ist nur durch die Gewährung von Kirchenasyl in einigen Fällen gelungen, bevorstehende Abschiebungen zu verhindern.
Es ist richtig, daß es für die Behörden häufig ein Anlaß ist, einen Fall noch einmal besonders sorgfältig zu überprüfen, wenn sich eine Gruppe von Menschen intensiv einer bestimmten Flüchtlingsfamilie annimmt und eine Abschiebung deshalb nur unter großem Protest möglich wäre. Das gilt nicht nur für den kirchlichen Raum. In einigen Fällen haben die Behörden aber auch zur Abschiebung anstehende Ausländer aus kirchlichen Räumen herausgeholt. Ob Abschiebungen verhindert werden können, hängt nicht von den Gebäuden ab, in denen die Unterbringung stattfindet. Hier bestehen nebulöse Vorstellungen, und es wird eine anspruchsvolle Sprachregelung gepflegt, die so nicht gerechtfertigt ist.
Halten sie es für legitim und rechtlich akzeptabel, wenn Christen in ihren Einrichtungen Asyl gewähren?
Ich kann für den Normalfall überhaupt keinen Konflikt mit dem Recht erkennen. Etwas anderes ist es, wenn bestimmte Personen Ausländern, die abgeschoben werden sollen, vor den Behörden verstecken. Das kann gegebenenfalls bis hin zur Straftat gehen. Dann mögen sich Konfliktsituationen über die Frage ergeben, ob die eigene Gewissenentscheidung mehr als die Entscheidung des Staates und der Gerichte zählt.
Kirchenasyl knüpft an die Tradition des zivilen Ungehorsams an. Stünde der Kirchenleitung hier nicht größere öffentliche Unterstützung gut zu Gesicht?
In aller Regel liegt überhaupt kein ziviler Ungehorsam vor, denn dieser setzt voraus, daß jemand aus besonderen Gewissensgründen bestimmte staatliche gesetzliche Plichten ignoriert oder bricht. Das ist bei der Unterbringung von Asylsuchenden in der Kirche oder in einem Gemeindehaus normalerweise nicht der Fall. Nur das Verbergen von Ausländern, also der Versuch, sie den Behörden zu entziehen, könnte eine solche Situation heraufbeschwören. Für diesen Fall sagt die Demokratiedenkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland von 1985: Wir respektieren die Entscheidungen der einzelnen, die ihrer Gewissensentscheidung den Vorrang vor staatlichen Anordnungen geben, aber wir können sie nicht vor den Sanktionen schützen, die der Staat dafür vorsieht. Die müssen sie tragen. Interview: Walter Jakobs
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