: Solidarität mit unterdrückter Minderheit
■ betr.: „Die ethnische Brille der Linken“, taz vom 11.4.94
Es ist an Perfidität kaum zu überbieten, was Herr Șenocak in seinem Essay zur „Kurdenfrage“ von der deutschen Linken wie von den in Deutschland lebenden KurdInnen fordert. Obgleich er selbst beschreibt, wie katastrophal sich der in der Türkei auf die KurdInnen ausgeübte Druck zur Assimilation auswirkte, bezeichnet er jene in Deutschland lebenden KurdInnen als „Nationalisten“, die für den Befreiungskampf der KurdInnen in der Türkei Partei ergreifen. Assimilation auch für die in Deutschland lebenden KurdInnen, lautet also das Credo des Herrn Șenocak. Wer wegen kultureller, verwandtschaftlicher und freundschaftlicher Bindungen als hier lebende(r) Kurde oder Kurdin für die Rechte der KurdInnen in der Türkei offensiv eintritt, der paßt eben nicht ins „multikulturelle“ Deutschland.
Wie wenig Assimilation als Strategie zur kulturellen Vermischung auch die in Deutschland lebenden AusländerInnen vor ausländerfeindlichen bzw. faschistischen Tendenzen schützt, beweist der Autor unfreiwillig selbst; ganz richtig weist er darauf hin, daß „Juden“ und „Jüdinnen“ im Dritten Reich verfolgt wurden, obwohl sie zum Christentum übergetreten und für Deutschland in den Krieg gezogen waren, im Grunde also völlig dem „deutschen Idealbild“ entsprachen und sich selbst wohl schon längst als „ganz normale Deutsche“ fühlten. Wer oder was sollte Ausländerfeinde oder FaschistInnen daran hindern, aus Menschen ausländischer Abstammung „ewige AusländerInnen“ zu machen?
Was nun das Engagement der Linken für die KurdInnen anlangt, so hat Herr Șenocak seine ganz eigene Theorie: „ethnisch fixiert“ seien sie – verkappte Nationalisten also, und sie sollten diese Haltung im Hinblick auf die multikulturelle Gesellschaft in Deutschland doch, bitte schön, aufgeben. Er will offenbar nicht einsehen, daß es nicht um die Hervorhebung ethnischer Grenzen (wann hätten ethnische Grenzen per se für die Linke je eine Rolle gespielt?), sondern um die Solidarität mit einer unterdrückten Minderheit geht, die in diesem Fall eine ethnische Gruppe ist.
Denn genau darum geht es: um die Emanzipation von Randgruppen und Minderheiten. Wenn wir eine wahrhaft tolerante und multikulturelle Gesellschaft in Deutschland, der Türkei und überall sonst wollen, müssen wir andere anders sein lassen wollen – und sie zugleich als gleichwertig akzeptieren. Oliver Junggeburth, selbster-
nannter deutscher KurdInnen-
Sympathisant, Bonn
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