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Schlechte Aussichten für Zivilangestellte

■ Tausenden Zivilbeschäftigten der Alliierten droht die Arbeitslosigkeit / Senat finanziert Weiterbildung / Personalentwicklungsgesellschaft soll Arbeitsplätze vermitteln

Für die noch etwa 6.000 Zivilbeschäftigten der Alliierten ist der 30. September 1994 ein schwarzer Tag. Sie alle werden dann auf einen Schlag entlassen. Ihr Tarifvertrag enthält zwar eine „Bemühungsklausel“, mit der das Land Berlin verspricht, „bei Dienststellenauflösungen aus militärischen Gründen“ für eine bevorzugte Einstellung der Zivilbeschäftigten in den öffentlichen Dienst zu sorgen. Doch dieses Vorhaben scheitert an der angespannten Haushaltslage. Es solle lediglich versucht werden, so Dr. Christine Bergmann (SPD), Senatorin für Arbeit und Frauen, diese Woche gegenüber der taz, die Schwerbehinderten in den öffentlichen Dienst zu integrieren.

Für Uwe Grosse, von der amerikanischen Hauptbetriebsvertretung, grenzt das an Verrat. In seinen Augen gehören die Zivilbeschäftigten zum öffentlichen Dienst. „Wir waren immer für die Sicherheit Berlins da. Wer hat denn die Versorgung sichergestellt?“ Da seien politisch-moralische Verpflichtungen einzuhalten, aber „wir sind nur noch politischer Ballast“. Tatsächlich stellen die Zivilbeschäftigten den Senat vor ein Problem: Rund 60 Prozent von ihnen sind älter als 40 Jahre, ein Drittel sogar älter als 50 – also zu alt für den Arbeitsmarkt. Zusätzlich sind ungefähr ein Drittel un- beziehungsweise angelernte Arbeitskräfte.

Hinzu kommen Zivilbeschäftigte, die kaum Deutsch sprechen. Türken beispielsweise, die seit Jahren nur für Franzosen, Amerikaner oder Briten gearbeitet haben. Wer arbeitslos wird, ist zunächst finanziell abgesichert und erhält eine Abfindung und Überbrückungsbeihilfen. Vor möglicher Langzeitarbeitslosigkeit kann das die Betroffenen jedoch nicht retten.

Obwohl diese Situation schon seit längerem bekannt ist, handelte der Senat erst relativ spät und nach massiven Protesten der Gewerkschaften. Seit September 1993 führt die Servicegesellschaft SPI (Sozialpädagogisches Institut Berlin) im Auftrag der Senatsverwaltung für Arbeit und Frauen, berufsbegleitende Weiterbildungsmaßnahmen für die Zivilbeschäftigten durch. Derzeit werden dort 700 Personen durch 40 Maßnahmen geschleust, von denen jedoch nur 20 Prozent einen Abschluß von der Industrie- und Handels- oder der Handwerkskammer erhalten werden. Dennoch geht Elke Oertel, Beraterin beim SPI, von guten Chancen aus: „Die meisten machen am Ende der Maßnahme auch ein vierwöchiges Praktikum, das die Anstellungsaussichten vergrößert.“

Für 1993 und 1994 wurden bisher vom Senat 1,7 Millionen Mark für die Weiterbildungsmaßnahmen des SPI bereitgestellt, 45 Prozent davon werden vom Europäischen Sozialfonds übernommen. Die Alliierten selbst schießen eine halbe Million zu und stellen ihre Angestellten für die Praktika frei. Gleichzeitig führen sie auch selbst interne Weiterbildungsmaßnahmen in großem Umfang durch. Auch das Landesarbeitsamt ist nicht untätig und hat Außenstellen bei den Alliierten eingerichtet.

Aber das alles ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein – angesichts der Alters- und Qualifizierungsstruktur der Zivilbeschäftigten und bei allein 250.000 offiziellen Arbeitslosen in Berlin. Dessen scheint sich auch der Senat mittlerweile bewußt geworden zu sein. „Wir gehen davon aus, daß wir uns um etwa 2.000 Leute besonders kümmern müssen“, so die Arbeitssenatorin. Deshalb soll eine Gesellschaft zur wirtschaftsnahen Personalentwicklung (Gewipe) eingerichtet werden, deren Aufgabe in erster Linie darin besteht, gezielt Kontakte zu Berliner Unternehmen aufzubauen und Beschäftigungsmöglichkeiten für schwer Vermittelbare zu schaffen. Die Gesellschaft wird ferner bei Existenzgründungen helfen und ABM-Stellen vermitteln. Geplant sind auch Lohnkostenzuschüsse für Firmen, die über 50jährige einstellen. Die Kosten für dieses Projekt, das auf drei Jahre befristet ist, sind mit 200 Millionen Mark veranschlagt. Auf das Land Berlin entfallen davon 55,7 Millionen. Der Rest soll über Mittel der Europäischen Union, den Bund und die beteiligten Unternehmen finanziert werden. Das letzte Wort in Sachen Finanzierung ist noch nicht gesprochen. Das Projekt hätte eigentlich schon diese Woche im Senat verabschiedet werden sollen. Finanzsenator Elmar Pieroth (CDU) bat sich jedoch Bedenkzeit aus. Während Arbeitssenatorin Bergmann die Gewipe einen guten Kompromiß nennt, bleibt ÖTV- Gewerkschaftssekretär Andreas Franke skeptisch: „So eine Gesellschaft muß einen Vorlauf haben, bis die richtig funktioniert.“ Ganz abgesehen davon, so seine Überzeugung, werden trotz aller Anstrengungen von den über 6.000 Zivilbeschäftigten letztlich nur 900 eine Anstellung finden. Die anderen „werden im allgemeinen Heer von Arbeitslosen untergehen“. Judith Gampl

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