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"Mir tut alles weh"

■ Großmaul Michael Moorer machte Evander Holyfield sprachlos: Der Herausforderer entthronte den Weltmeister

Las Vegas (dpa) – Der neue Schwergewichts-Champion Michael Moorer hämmerte mit der Faust auf den Tisch, blies die Bakken auf und lächelte überheblich in die Runde. Der Herausforderer hatte Evander Holyfield (beide USA) am Freitag abend in Las Vegas durch Punktsieg nach zwölf Runden entthront, sich als erster Rechtsausleger der Boxgeschichte den Titel gesichert und als neuer Weltmeister der Verbände WBA und IBF endlich allen Grund zur Arroganz: „Ich habe die Szene in der Hand. Wo sind die Typen, die mich immer angezweifelt und nie respektiert haben?“ fragte Moorer. „Schaut her, ich bin der neue Macher.“ Ein Macher mit Allüren und ohne Manieren und zudem nach 35 Profikämpfen weiter ungeschlagen.

„I did it, I did it“, hatte Moorer Sekunden nach Kampfende immer wieder vor sich hin gestammelt. Nach der Bestätigung durch Ring- Ansager Michael Buffer ließ er sich die beiden WM-Gürtel umschnallen und blies ein provozierendes Küßchen Richtung Holyfield-Ecke. Seit er als Zwölfjähriger in Monessen/Pennsylvania mit dem Boxen angefangen hatte, hatte er auf diesen Tag gewartet. Jetzt genoß er das Interesse um seine Person, so wie er es genossen hatte, 1991 bei einer seiner regelmäßigen Streitereien mit der Polizei einem Beamten das Kinn zu zertrümmern. „Ich bin der perfekte Champion, man nennt mich nicht umsonst den gemeinsten Boxer der Welt“, hatte Moorer vorab getönt. Typisch Moorer. Je schockierender, desto besser.

„Das ist Vergangenheit. Im Moment fühle ich mich innerlich sehr friedlich, es ist beinahe gespenstisch. Ein Gefühl der Genugtuung. Die zweimonatige Knochenarbeit im Trainingscamp hat sich gelohnt“, so Moorer. Zweifellos. Der 26jährige bekam für die Abendshow vor 12.000 Zuschauern im Caesars Palace fünf Millionen Dollar, Holyfield steckte für den wohl letzten Kampf seiner Karriere zwölf Millionen Dollar ein. Und dafür bedankte sich jener artig bei Gott. An besagtem Finale schien der Champion vergangener Tage mit allem Probleme gehabt zu haben. Mit der Motivation, einem Muskelanriß in der Schulter, den er sich in der zweiten Runde zugezogen hatte, als er Moorer zu Boden schickte, mit einer Platzwunde oberhalb des linken Auges, vor allem aber mit Moorers ungewöhnlicher Rechtsauslage. „Ich konnte mich nie darauf einstellen. Die Verletzungen waren sicher ein Problem, aber nicht der Grund für die Niederlage. Michael schlägt verdammt hart. Mir tut alles weh“, sagte der 31jährige nach seiner zweiten Niederlage im 32. Fight.

Knapp fünf Monate nach seinem eindrucksvollen Punktsieg in der WM-Revanche gegen Riddick Bowe war Holyfield nicht mehr der alte. Er wirkte nur noch alt. Von Beginn an überraschend matt, meist harmlos im Rückwärtsgang boxend, löste er sogar bei seinem ehemaligen Promoter Dan Duva Entsetzen aus: „Mein Gott, Evander verteilte Streicheleinheiten. Was war mit ihm los?“

Nicht viel, weil Moorer ihn nicht ließ. Der Underdog aus den Brooklyn-Gettos, der nach Karriereende selbst Polizist oder FBI- Agent werden will, hielt ihn geschickt auf Distanz. Er überraschte selbst seinen Trainer Teddy Atlas, der ihn in jeder Pause wie einen ungehorsamen Schuljungen zusammenstauchte und ihn somit immer wieder motivierte. „Willst du kämpfen oder aufgeben?“

„Michael ist in vielen Punkten wie Mike Tyson. Ein disziplinierter Kämpfer, der das Ganoven-Image liebt, aber in Wirklichkeit sehr sensibel ist“, analysiert Atlas, früher für Tyson verantwortlich. Tyson ist Moorers Vorbild und soll nach seiner Freilassung im Frühjahr 1995 auch einer seiner nächsten Gegner sein. „Es ist wie bei einem Radrennen. Jeder bringt sich in Position, um als erster gegen Tyson zu kämpfen“, analysierte Ex-Champ George Foreman. Auch WBC-Weltmeister Lennox Lewis, der am 6. Mai in Atlantic City seinen Titel gegen Phil Jackson verteidigt.

„Ein Kampf gegen Tyson wäre das Größte“, so Moorer, „zwei Menschen im Ring, denen die Gesellschaft egal ist.“ Diplomatie kennt der neue bad boy nicht, nur eindeutige Gossensprache, und das wird der Schwergewichtsszene nach dem blassen Holyfield zumindest etwas Farbe geben.

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