Vermächtnis eines Verrückten

Der THW Kiel wurde deutscher Handballmeister, doch der Architekt des Erfolges, der unzeitgemäße Heinz Jacobsen, zieht von dannen  ■ Aus Kiel Jan Feddersen

Die Inszenierung muß als gelungen bezeichnet werden: Kaum hatte der THW Kiel sein letztes Tor gegen den bereits abgestiegenen OSC Rheinhausen zum letztlich in der Höhe unwichtigen 24:15 erzielt, da huldigte das Publikum in der Kieler Ostseehalle einem Mann, der für sich in Anspruch nehmen darf, die erfolgreichste Sportequipe der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt auf Meisterkurs gebracht zu haben. Heinz Jacobsen heißt er, gilt in Kreisen des Deutschen Handball- Bundes (DHB) als ebenso charmanter wie ungehobelter Klotz und fungiert seit zehn Jahren beim THW Kiel als Manager der Handballprofis. Mit Tränen in den Augen nahm der Junge für alles den Beifall entgegen, winkte in die Kulissen und drückte beinahe jeden an die Brust, der sich ihm in den Weg stellte: Das war Jacobsens Tag, einer, auf den er so lange hingefiebert hatte.

Nun haben die Mannen von der Förde – wo Handball wie in Fredenbeck, Großwallstadt oder Gummersbach als „Notlösung mangels Fußballkultur“ (Spiegel) gilt – ihre erste Meisterschaft seit 1963 geschafft. Vier Punkte Distanz zur SG Hameln reichen einen Spieltag vor Saisonschluß für das größte Begehr der Kieler Sportszeneasten aus. Für Heinz Jacobsen, dessen Äußeres – korpulenter Körper, ungeschliffene Sätze, nicht immer makelloses Lächeln – dem auch beim THW inzwischen etablierten Sponsorenmilieu (Krawatten, feine Textilien, goldene Uhren, saubere Frisuren) Hohn spricht, bedeutet dieser Titel „mehr als der Gewinn der Weltmeisterschaft“, gewiß die „Krönung meiner Laufbahn“.

Dabei wird es für ihn bleiben. Der Titelgewinn kam den neuen Managern beim THW Kiel auch insofern recht, als ihnen damit jede Begründung gegeben wurde, Heinz Jacobsen künftig von allen Leitungsfunktionen beim THW zu entbinden. Anders formuliert: Jacobsen, Bundeswehrangestellter mit dem gewissen Geheimhaltungsflair, konnte mit dem sportlichen Erfolg aus den unmittelbaren Alltagsgründen der THW Kiel GmbH & Co. KG weggelobt werden – in den Ligaausschuß des DHB, der sich um eine bessere Vermarktung der Handballbranche müht.

14 Jahre diente Jacobsen, nach Auskunft von Handballenthusiasten ein „Verrückter“, für den „im Leben außer Handball eigentlich nichts zählt“, dem THW. Nun sei es gut, meint Ex-Nationalspieler Uwe Schwenker, ein Ziehkind Jacobsens. Muß er nicht dankbar sein, daß der ihn damals aus dem bremischen Grambke geholt hat? „Ja, schon, aber ich habe auch etwas für den Verein getan“, sagte der Betriebswirt und Leiter einer Versicherungsgeschäftsstelle des THW-Sponsoren „Provinzial“.

An der Demission Jacobsens hat er schon vor Wochen keinen Zweifel gelassen: „Wir brauchen neue Managementformen, um auch andere Zielgruppen zu erreichen, die sich für Handball begeistern könnten.“ Die eher handwerklich gestrickte Art seines Ziehvaters gilt den Gönnern des THW – die halbe Kieler Geschäftswelt gehört zum Kreis der Geldgeber und Adabeis – länger schon als antiquiert: Handball als Sport für Robustlinge soll ein milderes Image verpaßt bekommen – und dabei stört Jacobsen mehr als nur ein paar Mißgünstlinge.

Schwenker, 35 Jahre jung und gerade im richtigen Alter, um leitenden Angestellten von Gartenbaubetrieben, Lebensmittelfirmen und Karosserieklitschen imponieren zu können, hat es freilich erst möglich gemacht, daß der THW Kiel die Saison ganz oben in der Tabelle abschließen kann: Galt früher das Monarchenprinzip – wer einmal einen Stammplatz sicher hatte, ward ihn nie mehr los –, greift inzwischen das „Leistungsprinzip einschließlich Konkurrenz um einen Spieleinsatz“, wie Schwenker formuliert.

Thomas Knorr, zum Beispiel, Torschützenkönig der Liga, kann sich nie sicher sein, auch im nächsten Spiel eingesetzt zu werden. Nur Magnus Wislander, der schwedische Nationalspieler in der Rolle des Spielgestalters, ist unumstritten: Ohne ihn wären die Kieler eh nur eine Kloppertruppe mit besonderen Stärken beim Bodycheck.

7.000 Zuschauer feierten die Kieler direkt in der Ostseehalle, Tausende mußten draußen bleiben – Volxfest an der Förde, die kulturell sonst nur durch Justus Frantz' Schleswig-Holstein-Musik-Festival verwöhnt wird. Schwenker mag solche Folklore, Profi bleibt er dennoch. Was für den ehrenhaft zelebrierten Abgang Jacobsens galt, soll auch in puncto Professionalismus gültig bleiben: Amateurismus nein, denn „die Tüte ist verpackt und zugeklebt“.