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„Ins soziale Abseits“

■ 1000 Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose über 50 Jahre in Gefahr Von Kai von Appen

„Das ist die Perversion des Sozialstaats.“ Wolfgang Rose, Hamburger Vize-Chef der Gewerkschaft ÖTV, fand gestern deutliche Worte. Grund seiner Erregung: Der Beschluß der Bundesanstalt für Arbeit (BA), den Topf für Lohnkostenzuschüsse für Langzeitarbeitslose (LKZ) über 50 Jahren in Hamburg zu kürzen. Damit werden 1000 der 1750 LKZ-Stellen ab Mai diesen Jahres gestrichen werden müssen.

Erst, so Rose, habe die BA die „Förderketten“ bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) sowie in der Fort- und Umschulung „zerschlagen“, jetzt drohe dem LKZ-Bereich das Aus: „Das ist der dritte Schlag gegen aktive Arbeitsmarktpolitik in Hamburg.“

Im LKZ-Programm fanden ältere Langzeitarbeitslose – zum Teil hochqualifiziert, aber von der „freien Wirtschaft nicht mehr gewollt – wieder eine berufliche Perspektive. Die BA zahlte ein Drittel des Lohnes, den Rest der Arbeitgeber. Die LKZ-Leute arbeiten in ABM-Projekten als Anleiter, Ausbilder oder Buchhalter. „Bei uns sind Diplomingenieure, Architekten und Meister als Ausbilder tätig“, so Stefan Müller vom Verein „Beschäftigung und Bildung“, „ohne LKZ läuft das ganze ABM-Programm nicht.“

Die LKZ-Leute haben meist Fünf- bis Acht-Jahresverträge abgeschlossen. Kleine Einschränkung im Kleingedruckten: Das gelte nur, wenn die Förderungsgelder, die jährlich beantragt werden müssen, auch fließen. Doch was früher ein „Selbstgänger“ war, ist nun von der BA in Frage gestellt. Grund: Der LKZ-Topf ist zwar nicht gekürzt, jedoch ist auf Weisung Bonns nunmehr „ein Schlüssel“ eingeführt worden: Einzelne Bundesländer bekommen künftig unabhängig vom tatsächlichen Bedarf LKZ-Geld zugewiesen, in Hamburg werden Mittel gestrichen, obwohl es hier Menschen auf solchen Stellen gibt. „Das Arbeitsamt spart keinen Pfennig, es zahlt sogar drauf, wenn die Betroffenen Arbeitslosengeld oder -hilfe beziehen“, so Gewerkschaftsboß Rose: „Hier wird Arbeitsmarktpolitik auf den Kopf gestellt. Die Aufbaugeneration wurde zunächst aus Altersgründen aus dem ersten Arbeitsmarkt gedrängt, und nun soll sie ins soziale Abseits.“

So wie Achim Höfener: Der Ex-Nixdorf Computerspezialist und Betriebswirt macht in der Arbeitslosenbetreuungsstelle des DGB für 13 Vereine die Lohn-Buchhaltung. Höfener: „Ich hab keine Lust, mit 54 arbeitslos zu sein.“ Doch auch bei ihm hat jetzt das große Bibbern begonnen, denn ab 1. Juni könnte er schon ohne Arbeit sein.

19,3 Millionen Mark an Sondermitteln aus dem Bundesarbeitsamt Nürnberg fehlen nach ÖTV-Berechnungen, um die 1750 Stellen in Bezirksämtern, Sozialbehörde und bei den Freien Trägern (Kirchen, Wohlfahrtsverbände, Berufsförderungsprojekte) zu sichern. Arbeitsamtssprecherin Anja Eisenhuth: „Wir können dazu überhaupt nocht nichts Konkretes sagen. Es ist richtig, daß uns Geld fehlt, wir hoffen aber, daß wir welches aus Nürnberg zugewiesen bekommen.“ Hamburg und die Träger haben bereits ihren Anteil an den Lohnkosten bereitgestellt. Damit auch die Nürnberger Gelder fließen, findet am 9. Mai ab 17 Uhr eine Protestveranstaltung im Curio-Haus statt. Mit von der Partie: Hamburgs Arbeitsamtschef Dr. Olaf Koglin.

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