: Behörde auf dem Holzweg
■ Das Bundeswasseramt will "übergeordnete" Interessen durchsetzen
„Im Grunde genommen sind wir einigungsgeschädigt.“ Wolfram Lucke (73), Holzhändler an der Kreuzberger Ratiborstraße, stellt das zwar trocken fest, doch man sieht ihm an, wie nahe ihm die existentielle Bedrohung für seinen Familienbetrieb geht. Die Holzhandlung, deren Gründung durch Wolfram Luckes Urgrovater Christian sich im April zum 143. Mal jährte, könnte schon bald vor dem Aus stehen. Schuld daran ist nicht die veränderte Marktlage oder gar unternehmerisches Mißgeschick, sondern der Beschluß einer Verwaltung, die sich bislang noch nie um die Firma Lucke und ihre drei gleichfalls bedrohten Nachbarbetriebe gekümmert hat: Die Wasser- und Schiffahrtsdirektion des Bundes will ausgerechnet auf den Grundstücken Ratiborstraße 14 a–f ein neues Verwaltungsgebäude errichten. Die Verfügungsgewalt über das Gelände im Kreuzberger Südosten erhielt sie durch den Einigungsvertrag.
Für Wolfram Lucke und seinen Schwiegersohn Johannes Meckelnborg – die „fünfte Generation“ des Unternehmens – kam diese Nachricht völlig unerwartet. 1949 war der familieneigene Holzplatz an der Treptower Lohmühlenstraße in DDR-Verwaltung überführt worden. Luckes zogen auf die gegenüberliegende Seite des Landwehrkanals nach Kreuzberg. Dort war die DDR zwar strenggenommen ebenfalls Grundstückseigentümerin, doch hatten die Alliierten die Verfügungsgewalt an den Senat übertragen. Wegen dieser etwas eigentümlichen Rechtslage bekamen die hier ansässigen Firmen immer nur Pachtverträge mit kurzen Laufzeiten.
Mit der Wiedervereinigung haben sich die Dinge vereinfacht: Eigentümerin ist nunmehr die Wasser- und Schiffahrtsdirektion des Bundes (WFD) und damit das Bonner Verkehrsministerium. Dieser Wechsel blieb für die PächterInnen zunächst folgenlos. Die Firma Lucke wandte sich deshalb schriftlich an ihre neue Vermieterin und regte an, das Vertragsverhältnis auf eine langfristige Basis zu stellen. Eine Antwort blieb zunächst aus. Dafür meldete sich die WFD im Oktober 1992. Johannes Meckelnburg: „Das erste, was wir von denen erhalten haben, war die Kündigung.“ Bis zum 31. Dezember jenen Jahres, erfuhren die konsternierten PächterInnen, hätten sie das Gelände zu räumen.
Das war der Auftakt für einen langen Kampf mit ungleichen Mitteln. Ein kiloschwerer Leitzordner in Luckes Büro dokumentiert Eingaben, Bittbriefe und Stadtteilversammlungen.
Die Firma Lucke hat keine Ausweichmöglichkeit – das Gelände in Treptow ist teilbebaut und deshalb „nicht restitutionsfähig“. Der Betrieb kann auch nicht einfach an den Stadtrand ziehen. Zwar sind dort die Mieten erschwinglich, doch die Stammkunden weit weg. Die Holzhandlung braucht ihr wirtschaftliches Umfeld mit den vielen kleinen Tischlereien und Bauunternehmen. Auch für Freizeitbastler ist Wolfram Lucke – trotz des nachlassenden Hochbett- Booms – noch immer eine preiswerte Adresse. Seit letztem November sammelten die bedrohten Firmen rund 5.000 Unterschriften für ihren Erhalt und für die Sicherung von 60 Arbeitsplätzen. „Aber das verstehen die nicht“, klagt Johannes Meckelnborg über seine Verhandlungspartner.
Die WFD braucht das auch nicht unbedingt zu verstehen. Schließlich hat sie Justitia auf ihrer Seite. Mehr als kurzfristige Verlängerungen der Pachtverträge ließ sich die Behörde bisher nicht abhandeln. Auch die Intervention des Kreuzberger Bezirksamtes brachte zunächst wenig. Baustadträtin Erika Romberg machte den WFD-Oberen klar, daß der von ihnen geplante Bürobau an dieser Stelle wenig Aussicht auf Genehmigung hat: Der Berliner Flächennutzungsplan weist hier Grünanlagen und die Erweiterung einer benachbarten Kita aus. Nur das schon vorhandene Gewerbe genießt Bestandsschutz. Die Bundesbehörde allerdings ging mit ihrem Bauantrag direkt zum Bausenator. Zwar hat sich auch die Berliner Landesregierung schon für die Betriebe in der Ratiborstraße stark gemacht, aber gleichzeitig ist sie im Hauptstadt-Poker auf Tauschgeschäfte mit Grundstücken angewiesen. „Man weiß nicht“, so Romberg, „was der Bund sonst noch alles in die Waagschale wirft.“
Immerhin: Die konzertierte Protestaktion, der sich in seltener Einmütigkeit auch der Regierende Eberhard Diepgen und sein Amtsvorgänger Walter Momper mit Briefen an die Bundesregierung anschlossen, scheint nunmehr zu fruchten. Es ist, so heißt es jedenfalls im Verkehrsministerium, bei den für Mai geplanten Verhandlungen mit den zuständigen Senatsverwaltungen „mit einer konstruktiven Lösung zu rechnen“. Jochen Siemer
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