Ein ständisches Relikt

■ Bildungsforscher Rüdiger Preißer über die "Noten für den Prof": Solange die Professoren bestimmen, ändert sich nichts

taz: Sie haben drei Jahre lang die Lehrevaluation an der Technischen Universität Berlin durchgeführt. Was ist Ihr Fazit?

Rüdiger Preißer: Das wichtigste – indirekte – Ergebnis ist, daß die Technische Universität alle Versuche abgeblockt hat, daraus Folgerungen zu ziehen, um die Lehre wirklich zu verbessern.

War das von Anfang an klar?

Nein, sonst hätte ich's nicht gemacht, auch wenn ich wußte, daß es Widerstände gibt. Die direkten Ergebnisse sind aber insofern banal, als die Studierenden, wenn man sie fragen würde, sofort sagen könnten, wo die Probleme der Lehre liegen: daß die kommunikative Kompetenz der meisten Lehrenden weit hinter der fachlichen zurückbleibt oder daß Lehrveranstaltungsformen, die stärker interaktiven Charakter haben, zu einem besserem Lernerfolg führen.

Werden die tatsächlichen Probleme der Hochschule durch die Lehrveranstaltungskritik überhaupt erfaßt?

Nein, einfach wegen der Art der Fragestellung, die nur auf die Lehrveranstaltung abhebt. Der zentrale Punkt ist aber die Studienorganisation. Es gibt einerseits die überregulierten Studiengänge, mit einer hohen Stundenbelastung, die in der Regelstudienzeit nicht studierbar ist, und andererseits die Magisterstudiengänge, wo genau das Gegenteil passiert.

Würde es ausreichen, wenn sich die genannten Studiengänge einfach in der Mitte treffen würden?

Das ist zu formal gesehen. Man muß die Studierenden zu einer Gruppe zusammenfassen unter dem Gesichtspunkt einer bestimmten Größe, inneren Organisation und Selbstgestaltung. Es handelt sich um eine soziale Situation, die strukturiert werden muß – das ist den meisten Lehrenden schlicht unbekannt.

Wo liegen die strukturellen Grundprobleme der Hochschulen?

Das Kernproblem liegt darin, daß eine hochprivilegierte Berufsgruppe, die Professoren, das Recht hat, nach ihrem Willen zu schalten und zu walten – ohne externe Kontrolle. Das ist ein ständisches Relikt, das ist anachronistisch. Die Hochschullehrer sind zwar für ihr Fachgebiet qualifiziert, aber nicht für ihre anderen Aufgaben. Sie bekommen auch keine Weiterbildung. Wie sie ihre Funktionen ausüben, wird – anders als in der Wirtschaft – nicht kontrolliert. Wenn das jetzt in der Lehre durch die Studenten geschieht, regen sie sich fürchterlich auf und berufen sich auf das Grundgesetz. Mitarbeiterauswahl und Mitarbeiterführung haben sie nicht gelernt – wie sie mit ihren Mitarbeitern umgehen, das ist ganz schrecklich –, Haushaltsplanung auch nicht. Man fragt sich, warum die Hochschulen soviel Geld verprassen. Da wird nicht geplant, sondern in die Kasse gegriffen, bis sie leer ist.

Wie ließe sich die Kontrolle verstärken?

Die Hochschulverwaltung geht zu sehr nach bürokratischen Verfahrensgrundsätzen vor und nimmt zuwenig die spezifische Materie an der Hochschule zur Kenntnis. Der andere Gesichtspunkt ist eine demokratischere Selbstverwaltung: Die ganze Evaluation der Lehre hätte man sich sparen können, wenn man die Studenten nicht vorher aus den Selbstverwaltungsgremien hinausgedrängt hätte. Die Drittel- oder Viertelparität, die Standardforderung der Studenten, das führt für sich genommen nicht weiter. Was die Studenten damit gestalten wollen, können sie nicht sagen. Zudem ist die Selbstverwaltung durch Routineaufgaben überlastet, die in der Verwaltung professionell bearbeitet werden könnten. Die Gremien sollten sich wie die Aufsichtsräte in der Wirtschaft auf Kontrolle und Grundsatzentscheidungen konzentrieren.

Wie müßte eine umfassende Evaluation der Lehre aussehen, die sich nicht auf Lehrveranstaltungskritik beschränken würde?

Sie muß die organisatorischen Rahmenbedingungen einbeziehen. Wenn die Hochschulen, die die Kompetenz durch ihre Fachwissenschaftler – Organisationssoziologen, Organisationspsychologen – haben, das selbst nicht machen, dann werden die Unternehmensberater kommen. Die gehen nur nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten vor, Bildung ist für sie eine Ware wie Waschmittel oder Äpfel. Die Hochschulen müßten selbst Konzepte entwickeln, wie die Ressourcen am effektivsten verteilt werden. Die Räume zum Beispiel stehen die meiste Zeit leer. Bei der gegenwärtigen Organisationsstruktur, bei der die Hochschullehrer im Mittelpunkt stehen, aber für diese Aufgaben nicht qualifiziert sind, wird man die Kapazitätsprobleme nicht lösen können.

Das heißt also, die Massenuniversität ist nicht das eigentliche Problem?

So ist es. Sie wirkt aber wie ein Katalysator für die Probleme. Eine Gruppe von zehn Studenten reguliert sich von selbst – auch wenn der Lehrende schlecht ist; bei 100 Studenten funktioniert das nicht mehr.

Wie realistisch sind die Aussichten, Innovationen gegen den Widerstand der Professoren durchzusetzen?

Das ist eine Frage der Zeit. Die Lobbies, die Verbände der Hochschullehrer sind zwar erzreaktionär. Aber der Druck auf die Hochschulen wird nicht mehr abnehmen, weil die Geldverteilung nach dem Gießkannenprinzip vorbei ist. Unter vier Augen sagen die Hochschullehrer ganz offen: Wir werden auch diese Welle aussitzen. Doch diesmal täuschen sie sich. Wenn ein Stein aus diesem verkrusteten Gebäude herausgenommen wird, wird vieles zusammenbrechen.

Interview: Ralph Bollmann

Ein Aufsatz von Rüdiger Preißer zur „Evaluation der Lehre“ erschien in Heft 4/1993 der „Beiträge zur Hochschulforschung“, die das Bayerische Staatsinstitut für Hochschulforschung und Hochschulplanung herausgibt.