: Arbeit ohne Geld und Ehre
Wenn der Kampf um bezahlte Jobs härter wird, verlieren unbezahlte häusliche Tätigkeiten an Prestige / Hausarbeit hat sich nicht verringert ■ Von Barbara Dribbusch
In den Verhandlungen um die Viertagewoche bei VW gab es ein Phänomen: Niemand der Gesprächspartner wagte auch nur ansatzweise, den Zeitgewinn der Beschäftigten zu thematisieren. Ein freier Tag mehr in der Woche halb geschenkt, mehr Zeit für die Familien, das war den Verhandlungsführern keine öffentlich geäußerte Silbe wert. Das Beispiel VW ist typisch. Erwerbsarbeit gilt als das Maß aller Lebenszeit, unbezahlte Familienarbeit dagegen ist wenig wert. Besonders wenig in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit.
Das Beispiel Ostdeutschland ist in diesem Zusammenhang ein unfreiwilliger Großversuch. Während die Erwerbslosigkeit bei den Frauen von null auf 20 Prozent hochschnellte, sank die Geburtenrate seit 1988 um mehr als die Hälfte. „Unter dem Eindruck von Arbeitslosigkeit wird der Kinderwunsch nicht bestärkt, sondern beiseite geschoben“, betont die Münchener Familiensoziologin Elisabeth Beck-Gernsheim. Erwerbsarbeit ist alles, Familienarbeit hat wenig Status. Dem entspricht die Haushaltsstruktur. Familien mit minderjährigen Kindern machen weniger als die Hälfte aller Haushalte aus. Im Durchschnitt bekommt ein Paar in der Bundesrepublik 1,5 Kinder.
In Geld gerechnet, ist Familienarbeit zum Minusgeschäft geworden. Der Augsburger Sozialökonom Heinz Lampert veranschlagte den durchschnittlichen Wert der elterlichen Betreuung für zwei Kinder bis zu deren 18. Lebensjahr auf insgesamt 638.000 Mark. Dabei legte er den Stundenlohn einer Kindergärtnerin zugrunde. Im Gegensatz zu dieser jedoch ackert Mutter oder Vater ehrenamtlich – wer zu Hause bleibt, verzichtet auch noch auf das Einkommen durch Erwerbsarbeit.
Ein kinderloses Paar aus zwei voll berufstätigen Angestellten kann heute pro Monat durchschnittlich 5.800 Mark (Westgehälter) gemeinsam verballern. Eine Familie mit zwei schulpflichtigen Kindern und nur einem angestellten Verdiener dagegen muß mit 4.100 Mark Einkommen nicht nur die höhere Miete bezahlen, sondern auch noch mit 1.400 Mark an Unterhaltskosten für den Nachwuchs rechnen.
Wer einen Job hat, möchte ihn zumindest nicht mehr vollständig gegen Familienarbeit eintauschen. Das gilt jetzt auch für die Frauen. In den Jahren zwischen 1962 und 1990 ist die Erwerbsbeteiligung bei den 25- bis 30jährigen Frauen von 51 auf 72 Prozent, aber auch bei den 35- bis 40jährigen von 46 auf 68 Prozent gestiegen. „Die Berufsarbeit ist für viele jüngere Frauen objektiv wie subjektiv attraktiver geworden. Der Arbeitsplatz der Hausfrau hat sich relativ dazu in vielen Punkten verschlechtert“, beschreibt die Münchener Familiensoziologin Maria Rerrich.
Das liegt nicht nur am Geld, sondern auch an den Arbeitsbedingungen: Mütter vereinsamen mit dem Nachwuchs in der kleinen Neubauwohnung, langweilen sich halbe Tage auf Spielplätzen oder quälen sich stundenlang durch den Verkehrsstau auf dem Weg zu Spielgefährten für das Einzelkind. Das gesamte Volumen der Hausarbeit hat sich nicht verringert. „Es hat sogar zugenommen“, sagt die Berliner Soziologin Sibylle Meyer. In Interviews mit Frauen zeigte sich, daß die Stunden, die Spülmaschine und Mikrowelle an Zeit sparen könnten, durch höhere Ansprüche an Sauberkeit und Ernährung aufgefressen werden. Würde man die Hausarbeit in Lohnkosten umrechnen, käme eine Summe in Höhe von etwa 68 Prozent des Bruttosozialproduktes heraus, hat das Statistische Bundesamt einmal für Westdeutschland geschätzt.
Für die Hausarbeit gibt es aber weder Geld noch Ehre. Daher konnte es auch nicht gelingen, die Männer für den „reproduktiven Sektor“ zu begeistern. Ihr Anteil an „Erziehungsurlaubern“ liegt nach wie vor bei einem Prozent. Nur in jedem fünften deutschen Haushalt nehmen die Männer Scheuerlappen und Kochlöffel selbst in die Hand. Kinder zu erziehen hat etwas mehr Prestige: Daran beteiligen sich die Väter in jedem dritten Haushalt, so das Ergebnis von Befragungen des Deutschen Jugendinstituts (DJI). Wer kann und darf, drückt sich vor der häuslichen Arbeit.
Oder gibt sie ab. Es seien nicht die Männer, sondern „vor allem andere Frauen, die berufstätigen Frauen einen Teil der Alltagsarbeit abnehmen und sie damit für die Erwerbsarbeit freistellen“, hat Rerrich erkannt. Familien, die es sich leisten können, greifen immer mehr auf „schwarz“ beschäftigte Hilfskräfte zurück: das rumänische Kindermädchen, die polnische Putzfrau. Rerrich schätzt die Anzahl von Hilfsjobs in westdeutschen Privathaushalten auf mindestens eine Million.
Familie will man haben, aber nicht allzuviel Zeit mit ihr verbringen. Nach Umfragen des DJI möchten 90 Prozent der heiratswilligen jungen Paare Kinder. Auch Männer setzen in Befragungen nach dem Wichtigsten in ihrem Leben die Familie immer an erster Stelle. In etwa der Hälfte aller Familien aber leben Einzelkinder.
Diese Entwicklung bereitet inzwischen auch den Rentenexperten und Sozialpolitikern Kopfzerbrechen. Mit einer Zusatzsteuer möchte Familienministerin Hannelore Rönsch (CDU) Kinderlose stärker belasten. Die Sozialdemokraten plädieren für ein höheres Kindergeld von 250 Mark monatlich pro Kind, besserverdienende Ehepaare sollen vom geltenden Ehegattensplitting ausgenommen werden. Der Vorschlag der Grünen zu einem Grundeinkommen auch für Hausfrauen oder Hausmänner käme der Idee nahe, reproduktive Tätigkeiten zu bezahlen. Der Siegeszug der Erwerbsarbeit dürfte dennoch weitergehen. Sozialpolitiker aller Parteien fordern daher zumindest eine gerechtere Verteilung von Erwerbsarbeit und Erziehungsarbeit. Denn nur wenn der Job gesichert ist, sind viele Frauen und Männer überhaupt noch bereit zu unbezahlter Arbeit. Beide Arbeitssphären müssen zumindest miteinander vereinbar sein – solange unbezahlte Tätigkeiten als lästige Nebensache oder gar als Zeitverschwendung gelten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen