■ Im Zweifel für den sicheren Pfälzer: Kanzler Kohl und Raser Scharping
Das ökologische Überleben gehört für den SPD- Kanzlerkandidaten Rudolf Scharping nicht zu den wichtigsten politischen Themen. Scharping ist an dieser Stelle ganz offen. Ihn interessierten nur Jobs und die sogenannte Modernisierung der Volkswirtschaft. Wenn die Ökologie einen Beitrag dazu leisten kann, ist sie erwünscht, wenn nicht, paßt sie nicht ins Wahlkampfkonzept, mit dem Scharping den Kanzler schlagen will.
Dagegen kann man kleinkariert Einwände erheben. Man kann monieren, daß das Tempolimit von der SPD erwartet wurde und eine Mineralölsteuererhöhung um 50 Pfennige mal zum Programm der Partei gehörte. Man kann sich wundern, daß in der Bonner Baracke der Bereich Arbeit, Umwelt, Technik abgewickelt wurde. Man kann beklagen, daß Oskar Lafontaine den von CSU-Minister Zimmermann als Alternative zum Tempolimit eingeführten Katalysator heute als Beispiele fortschrittlicher Umweltpolitik preist. Man kann Scharping vorhalten, daß die eine oder andere ökologisch vernünftigere Entscheidung der SPD mehr Jobs schaffen würde respektive geschaffen hätte.
Wichtiger aber ist ein grundsätzlicher Einwand. Scharping vertauscht Zweck und Mittel. Der Zweck jeglicher Politik muß sein, das mittel- und langfristige Überleben der Gesellschaft sicherzustellen. Daß einer gradlinigen Fortsetzung der Entwicklung unserer Industriegesellschaft ökologische Grenzen gesetzt sind, ist seit 20 Jahren bekannt und heute ein Allgemeinplatz. Nur über die Instrumente auf dem Weg zu einer überlebensfähigen, demokratischen Industriegesellschaft kann heute sinnvollerweise noch gestritten werden.
Doch das gilt nicht für Rudolf Scharping. Der Zweck seiner Politik ist vordergründig eine nicht genauer bestimmte Modernisierung der Volkswirtschaft und die Schaffung neuer Jobs. Das langfristige Ziel bleibt verschwommen, die Mittel auch. Der Verdacht keimt inzwischen auch unter Genossen, daß der eigentliche Zweck von Scharpings Politik nur die Macht ist. Er will gewählt werden. Dafür sind fast alle Mittel recht.
Für den fortschrittlichen Teil der Gesellschaft ist das frustrierend und politisch beängstigend. Als Alternative zu Kohl präsentieren sich nicht vaterlandslose, sondern prinzipienlose Gesellen. Diese Wählerinnen und Wähler sollen Scharping einen Blankoscheck für die kommenden vier Jahre ausstellen und darauf vertrauen, daß die Prinzipien, die im Wahlkampf über Bord geworfen wurden, nach der Wahl wieder zum Tragen kommen. Nicht nur die oben zitierten Einwände, kleinkariert wie sie sind, erlauben das kaum.
Und wie reagieren die umworbenen Wählerinnen und Wähler der Mitte: Einen derartigen politischen Blankoscheck hat Helmut Kohl von ihnen nie verlangt. Es ist klar, mit Kohl geht es in gemütlichem Pfälzer Tempo in die falsche Richtung. Scharping hingegen verspricht den Schwankenden Tempo 100 auf jeder Achse, Reiseziel unbekannt. Bei der Wahl zwischen einem Raser ohne Richtung und einem Dicken auf dem falschen Weg ist die sichere Variante nicht einmal die schlechtere. Hermann-Josef Tenhagen
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