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Serben nehmen britische Blauhelme als Geiseln

■ Akashi will mit Karadžić über Freilassung verhandeln / Blockade möglicherweise gegen UN-General Rose gerichtet / Truppenaufmarsch bei Brčko geht weiter

Berlin/Sarajevo (taz) – Die britischen UN-Blauhelme, die seit vier Tagen in der Nähe von Goražde an der Weiterfahrt in die Enklave gehindert werden, werden offenbar von serbischen Soldaten als Geiseln festgehalten. Nach Angaben von UN-Sprecher Eric Chaperon plante der UNO-Sonderbeauftragte für Ex-Jugoslawien, Yasushi Akashi, gestern Verhandlungen mit Serbenführer Radovan Karadžić über die Freilassung der Soldaten. Die serbischen Soldaten bestehen auf einer Überprüfung des persönlichen Gepäcks der UN- Soldaten. Bisher hatte die Führung der UN-Schutztruppen (Unprofor) noch auf die Erfüllung des von der serbischen Seite unterzeichneten Abkommens, in dem freier Zugang nach Goražde für die UNO-Friedenstruppen vereinbart worden war, bestanden.

Nach Angaben der Unprofor wird die britische Einheit in Rogatica, einem Dorf rund 20 Kilometer nördlich von Goražde, von serbischen Soldaten an der Weiterfahrt gehindert. Mittlerweile habe sich zudem herausgestellt, daß die Briten auch nicht nach Sarajevo zurückgelassen würden. Chaperon vermied während seiner gestrigen Pressekonferenz in Sarajevo zwar das Wort „Geiselnahme“, betonte aber, die Blauhelme säßen fest und „die Verhandlungen über ihre Freilassung“ gingen weiter. Die Frage, warum die französischen und ukrainischen UN-Soldaten am Montag nach Goražde durchgelassen worden waren, konnte Chaperon nicht beantworten. Gut informierte Kriese in der bosnischen Hauptstadt vermuten, daß die Aktion letztendlich gegen den UNO- Oberkommandierenden in Bosnien, den Briten General Michael Rose, gerichtet ist. Die Serben werfen ihm vor, den Krieg verschärft zu haben, als er Mitte April Nato-Luftangriffe gegen serbische Stellungen um Goražde angefordert hatte. Auch seine Rolle beim zweiten Nato-Ultimatum, daß Ende April den serbischen Rückzug aus Goražde erzwungen hatte, hätten die Serben General Rose nicht vergessen.

UN-Beauftragter Akashi führte derweil in Sarajevo zunächst Gespräche mit der bosnischen Regierung, um die zum Stillstand gekommenen Friedensgespräche wieder in Gang zu bringen. Anschließend wollte er im serbischen Hauptquartier Pale mit dem selbsternannten „Präsidenten“ Karadžić über die Festsetzung der britischen UNO-Soldaten und den noch ausstehenden Abzug serbischer Truppen aus der Sperrzone um Goražde einfordern. UNO- Generalsekretär Butros Ghali stellte sich inzwischen auf die Seite der amerikanischen UNO-Botschafterin Madeleine Albright und kritisierte Mitarbeiter der Weltorganisation, die die US-Politik in Bosnien angegriffen hatten. Er ließ mitteilen, ein entsprechendes Schreiben sei auch an Akashi gegangen, der vergangene Woche die Außenpolitik der USA seit dem Abzug aus Somalia als „furchtsam, ängstlich und zögernd“ bezeichnet und damit einen scharfen Protest Albrights ausgelöst hatte.

Unterdessen setzten moslemische und serbische Militärs den bereits seit Tagen andauernden Truppenaufmarsch in der Umgebung der nordbosnischen Stadt Brčko fort. Nach Angaben von Radio Sarajevo hatten serbische Truppen in der Nacht auf gestern „eine große Kolonne von Panzern und Transportern“ aus dem Osten der exjugoslawischen Republik an die Frontlinien herangeführt. Zuvor hatte der Oberkommandeur der bosnischen Armee, Rasim Delić, die erwarteten schweren Kämpfe bei Brčko als „Schlüssel zum Krieg in Bosnien“ eingestuft. Das Hauptquartier der UNO-Friedenstruppen wollte zu dem Truppenaufmarsch der Serben und Bosnier keine näheren Angaben machen.

Die von Serben kontrollierte Stadt Brčko ist der östliche Ausgangspunkt eines Korridors von der restjugoslawischen Grenze durch die Tiefebene der Save bis in die serbisch besetzten Gebiete Kroatiens. Der stellenweise keine 1,5 Kilometer breite „Flaschenhals“ ist für die Serben von kriegswichtiger Bedeutung, da er den einzigen Nachschubweg zwischen dem besetzten Osten und Westen Bosniens darstellt. rr

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