: Das „Ghetto“ reißt auf
■ Aufregung in Huckelriede: Moschee und TürkInnen verlassen den Niedersachsendamm
Das hätte gerade noch gefehlt: Ein Muezzin mitten in Huckelriede, der einen morgens mit Gebrüll aus dem Bett schmeißt! So schimpfen dieser Tage alteingesessene deutsche HuckelriederInnen, die rund um die Kornstraße wohnen. Dort also, wo die TürkInnen vom Niedersachsendamm angeblich eine Moschee mit Minarett und allem drum und dran bauen wollen. „Es gibt hier schon so viele türkische Bürger und Einrichtungen, jetzt noch eine Moschee, das ist einfach zuviel“, sagen die Deutschen. Manchmal bekommt der geduldige Ortsamtsleiter Klaus-Peter Fischer fast schon die Pistole auf die Brust gesetzt: „Du bist von uns Deutschen gewählt, also mußt du dich auch für Deutsche starkmachen.“
Dabei ist die Sache mit der Moschee ganz anders: Zwar wird die Askeri Evler Gemeinde – was soviel heißt wie „Gemeinde in der Kaserne“ – tatsächlich ausziehen aus dem engen und feuchten Kellerraum in der ehemaligen Huckelrieder Kaserne, doch erst in drei bis fünf Jahren. Erst dann nämlich werden die soeben gekauften Räume an der Kornstraße frei. Solange arbeitet dort noch eine Druckerei.
Außerdem baut die Gemeinde dort mitnichten eine Moschee, geschweige denn ein Minarett. Vielmehr baut sie die bestehenden Räume ein bißchen um: Es soll einen Frauen- und einen Männerraum geben, sowie Räume für Jugendliche und einen für Nachhilfeunterricht.
Im Hof der Druckerei gibt es allerdings nur wenige Parkplätze. Doch Usta Daban von der Gemeinde ist überzeugt, daß die allermeisten Gläubigen mit der Straßenbahn kommen werden, und die hält direkt vor der Haustür. „Es kann sich überhaupt niemand gestört fühlen“, sagt Usta Daban und ringt die Hände, „wir beten doch nur“. Die Gemeinde hat zwar 190 Mitglieder, aber zum Freitagsgebet versammeln sich im Schnitt nur rund 50. Zur Beruhigung der AnwohnerInnen soll es bald eine öffentliche Beiratssitzung geben.
Die Aufregung der eingesessenen HuckelriederInnen hat sich an der Moschee entzündet, Angst haben sie jedoch ganz allgemein vor dem Zuzug von türkischen Familien. Bislang nämlich wohnen Huckelriedes TürkInnen in einer Art Ghetto: in den ehemaligen Kasernen am Niedersachsendamm. Mit dieser Situation waren viele bislang recht zufrieden, die Deutschen wie die TürkInnen. Die türkischen Familien, so wird erzählt, schätzen die Abgeschlossenheit durchaus: auf der riesigen Freifläche zwischen den Häuserblocks grillen sie, spielen, reparieren Autos ... Daneben liegt ein Stück Grabeland. Wenn da nicht diese „Wohnungen“ wären: ehemalige Soldatenschlafsäle ohne Zentralheizung, in die die MieterInnen sich erst noch Duschen und Küchen einbauen mußten. Seit den 60ern ließ die Besitzerin, das Bundesvermögensamt, nur noch die notdürftigsten Reparaturen vornehmen.
Mit dem „Ghetto“-Frieden ist nun Schluß. Das Bundesvermögensamt hat die Kasernen vor zwei Jahren abgegeben. Nun saniert die Bremische die drei Hausblöcke und baut auf den Freiflächen noch vier Blöcke dazu. Wo bislang 200 Mietparteien wohnen, können es bald an die 500 sein. Allerdings nicht nur türkische: Die Wohnungen werden auf dem freien Markt vergeben an alle mit B-Schein.
Alles wunderbar, oder nicht? Von wegen, sagen die eingesessenen HuckelriederInnen, sie fürchten einen Exodus der TürkInnen aus den Kasernen nach Huckelriede. Durch die Sanierung werden die Wohnungen teurer – wenn auch für angestammte MieterInnen die Miete nur um ein bis zwei Mark steigen soll pro Quadratmeter. Doch etliche der jetzigen BewohnerInnen liegen über der Berechtigungsgrenze für Sozialwohnungen. Und die werden vertrieben vom Niedersachsendamm und suchen sich woanders Wohnungen.
Die TürkInnen am Niedersachsendamm haben zur Zeit ganz andere Probleme als die Angst der deutschen HuckelriederInnen. Nach Solingen hat die Bremische abschließbare Haustüren und Klingelanlagen zugesagt – installiert sind sie bis heute nicht. Nur zum Beispiel. Und seit neuestem donnern schon morgens um sieben die Baumaschinen im Keller, weil dort eine Zentralheizung eingebaut wird – eine Qual für kleine Kinder und SchichtarbeiterInnen.
Richtig froh über die Öffnung des „Ghettos“ sind im Moment nur einige. Zum Beispiel dieser 16jährige: „Ich find' das gut, daß hier Deutsche herziehen, denn meine Mutter kann immer noch kein Deutsch, obwohl sie seit 20 Jahren hier wohnt.“ Christine Holch
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