■ 31. Berliner Theatertreffen: Editorial
Die Berliner Zeichen der Zeit haben auch das Theatertreffen in diesem Jahr nicht verschont: Das Budget der Festspiele ist um 11,5 Prozent gekürzt, und das Theaterhaus der Freien Volksbühne, bisher die Hauptschlagader des Festivals, heißt mittlerweile Musicaltheater und steht nicht mehr zur Verfügung. Beide Probleme waren zu lösen: Das Spiegelzelt wird eben vor dem Deutschen Theater aufgestellt, und der finanzielle Engpaß konnte durch die Kooperationsbereitschaft der eingeladenen Bühnen kompensiert werden. Sie stellten ihre heimischen Spielpläne weitestgehend auf die Gastspiele ein, so daß der Um- und Aufbauaufwand deutlich geringer ist als in den Jahren zuvor.
Zu den Zwängen gesellt sich eine weitere Reform: In diesmal nur 13 Tagen finden 79 Veranstaltungen an acht Orten statt, die zehn Gastspiele werden insgesamt 31mal (teilweise auch nachmittags) gezeigt. Eine solche Dichte soll das Theatertreffen in diesem Jahr zu einem wirklichen Zusammen- und Aufeinandertreffen der Theater machen. Und bei meist drei Aufführungen je Inszenierung ist auch die Platzkapazität gestiegen. Neue alte Spielorte sind hinzugekommen: der Titania Palast in Steglitz und das Ballhaus Rixdorf am Kottbusser Damm in Neukölln.
Auch das Schiller Theater konnte in dieser Saison noch eingeplant werden. Für 1995 hofft Festivalleiter Torsten Maß auf eine entsprechende Übereinkunft mit dem dann dort gastierenden Metropoltheater. Aber wenn auch in der Bismarckstraße erst Musicalrhythmen den Geist des Hauses dirigieren, wird überhaupt nichts mehr zu machen sein. Auch eine Spätfolge der Abwicklung des Schiller Theaters: Allein die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz wird dann noch großräumig angelegte Inszenierungen beherbergen können.
Die nordrhein-westfälischen Bühnen hatten im letzten Schließungs-Sommer eigentlich einen Boykott des Berliner Theatertreffens angekündigt. Nun sind Bochum und Düsseldorf eingeladen und werden kommen. Zum Glück, denn der Schuß gegen Berlin hätte leicht zum Eigentor der Theater werden können: Der Bund, der die Berliner Festspiele und damit das Theatertreffen zur Hälfte finanziert, würde autosubversive Aktionen sicher gerne zum Argument machen, den gezückten Rotstift noch nachhaltiger anzusetzen.
Schlimm genug, daß Kultursenator Roloff-Momin miesmuffelig und kontraproduktiv öffentlich beklagte, daß nur zwei der zwölf eingeladenen Bühnen aus dem Osten kommen und so indirekt die Repräsentativität des Theatertreffens von vornherein infrage stellte. Dabei ging es hier noch nie um Quoten, sondern stets um Qualität. Aber auch von anderen Seiten wurde die Auswahl der Jury (Peter von Becker, Eckhard Franke, Christoph Funke, Wolfgang Kralicek, Mechthild Lange, Rolf Michaelis, Ulrich Schreiber, Erika Stephan und C.Bernd Sucher) schon kritisiert. Vielleicht wäre es besser, damit so lange zu warten, bis man das ganze Programm gesehen hat – am 15. Mai findet im Spiegelzelt die Schlußdiskussion mit der Jury statt.
Schwerpunkt des diesjährigen Treffens soll das Junge, Neue sein. Das zeigt sich zumindest formal daran, daß viele zeitgenössische Stücke, junge Regisseure und etliche ganz junge Schauspieler vertreten sind. Weiter: Einen direkten Vergleich ermöglichen die beiden „Hedda Gabler“-Inszenierungen aus Berlin und Frankfurt. Und parallel zur Züricher Inszenierung von „Oleanna“ kann man die des Deutschen Theaters betrachten. Überhaupt die Möglichkeit, neben den geladenen Produktionen auch das umfängliche Berliner Repertoire zur Kenntnis zu nehmen, ist für Zureisende wohl einzigartig. „Goethes Faust Wurzel aus 1+2“ von Christoph Marthaler wird außerdem ergänzt durch eine weitere Hamburger Faust-Variante des Regisseurs, die am 9. und 10.Mai als Gastspiel in der Volksbühne zu sehen ist: „Faust. Eine subjektive Tragödie“ von Fernando Pessoa. Und wer ein paar Tage länger bleibt, kann auch die volksbühneneigenen Marthaler-Produktionen, „Sturm“ und „Murx ihn“, betrachten – eine kleine Werkschau des Theatermachers, der eine gesellschaftliche Leerstelle auf der Bühne thematisiert: den Müßiggang.
Auf diesen Seiten sind Artikel über alle eingeladenen Inszenierungen sowie den Stückemarkt zu finden, die rezensierende Berichterstattung gibt es in diesem Jahr erstmalig vorab. Einzelne Veranstaltungen des Rahmenprogramms werden natürlich aktuell besprochen, auch auf das Forum junger Bühnenangehöriger, das ja auch schon zum 30.Mal stattfindet, wird gesondert eingegangen und ein Abschlußbericht faßt die Berliner Wirksamkeit des Aufführungsmarathons zusammen. Dann werden auch die wirklichen Premieren des Theatertreffens beleuchtet: die Diskussionen zwischen Theaterschaffenden, Publikum und Jury, die sich im Dunstkreis des Spiegelzelts (hoffentlich) entwickeln. Petra Kohse
Zeichnung: Annkatrin Steffen
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