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Sozialreformer und ästhetischer Generalist

■ Im Rahmen des Hamburger Architektursommers würdigt Hamburg endlich Fritz Schumacher / Zu seinem 125. Geburtstag dokumentiert eine Ausstellung in den Deichtorhallen „Schumacher und seine Zeit“ Von Till Briegleb

Was haben Bolzer auf den Stadtparkwiesen, Besucher der Kunsthalle, Polizisten der Davidwache, Kanuten und Schlittschuhläufer auf der nördlichen Alster, Bewohner der Jarrestadt und der Finanzsenator gemeinsam? Sie alle bewegen sich in einem von Fritz Schumacher erdachten Raum.

Hamburg ein neues Aroma gegeben

Der erste und bedeutendste Hamburger Oberbaudirektor – das Amt wurde 1909 für ihn eingerichtet – hat Hamburgs städtebauliche Geschichte in diesem Jahrhundert mehr als jeder andere geprägt, und doch ist der Nachhall seines Wirkens in Hamburg von einem leeren Mythos übertönt worden, der sich nur der Sehnsucht nach Prominenz ergibt, aber keinerlei qualitative Würdigung mehr beinhaltet.

Als Architekt, Stadt- und Landesplaner, praktischer Vordenker sozialer Reformen, Schriftsteller und ästhetischer Generalist dominierte er bis 1933 die Entwicklung Hamburgs inweit mehr als den ihm qua Amt zustehenden Ressorts. Aber nicht nur in Hamburg und weit hinein in die meisten Gebiete des öffentlichen Lebens wurde Schumacher tätig. In Dresden, München, Leipzig und Köln, wo er vor und während seiner Hamburger Zeit als Architekt, Dozent und Städteplaner wirkte, mischte er sich ebenso energisch in die aktuellen Kunstdebatten ein (wobei er immer einem gemäßigten Modernitätsbegriff treu blieb), verfaßte Bühnenstücke, entwarf Bühnenbilder, baute Denkmäler und Villen, dichtete und dozierte in diversen Sparten. Kunstgeschichte war ihm ebenso wenig fremd wie das Schul- und Gesundheitswesen oder die Ingenieurskunst, und seine Veröffentlichungen zu derartigen Themen bilden ein reiches thematisches Buckett. Der Begriff des „Übermenschen“ des von ihm innig verehrten Nietzsche drängt sich scherzhaft auf, betrachtet man das nimmermüde „monumentale“ (Schumachers Lieblingspositivum) Gesamtwerk des gebürtigen Bremers.

Doch natürlich stellte Hamburg, wo der Mitbegründer des Deutschen Werkbundes 24 Jahre für die Stadtentwick-lung zuständig war und wo er auch 1947 starb, das Haupttätigkeitsfeld Schumachers dar. Dieser Stadt hat er mit seinem manischen Wirken Akzente und Aroma gegeben, die bis heute wenigstens im Feinstofflichen seiner Bewohner nachwirken.

Eine Aufzählung seiner Hamburger Leistungen kann allerdings nur höchst unvollständig und beispielhaft gelingen: Gestaltung des Stadtparkes und des Alsterlaufes, die Revolutionierung der hanseatischen Bebauungspläne, auf Grund derer die von ihm geplanten Quartiere wie die Jarrestadt, Dulsberg, Barmbek-Nord oder Hamm-Marsch überhaupt erst entstehen konnten, die Durchsetzung des Backsteins als einheitliches Gestaltungsprinzip im sozialen Wohnungsbau und bei Staatsbauten und die von ihm selbst entworfenen Gebäude wie das Museum für Hamburgische Geschichte, die Finanzdeputation, die Kunsthochschule, die Davidswache oder das Johanneum (um nur einige wenige zu nennen) sowie unzählige öffentliche Bauten wie Schulen, Schwimmbäder, Krematorien und Institute gehören in die Liste beeindruckender Beispiele einer kreativen Ausnahmepersönlichkeit. Die tiefere Bedeutung Schumachers liegt aber in seinem reformerischen Gesamtkonzept einer „sozialen Architektur“, der alle Künste dienlich zu sein haben.

Schon in seiner Studienzeit in München und Berlin ist sich Schumacher sicher, daß nicht die „Luxusaufgaben unserer Zeit“, sondern die „Mitarbeit an großen sozialen Problemen für die Architektur die schwerwiegendste Wichtigkeit hat“. Und auch wenn er ersteres nicht versäumte ausgiebig zu praktizieren, so sind doch die zentralen Akkorde seines Werkes „Die Kleinwohnung“, „Der Volkspark“ und „Die öffentlichen Bauten“. Hier leistet er theoretisch und praktisch sein Lebenswerk, aber auch alle weiteren seiner Aktivitäten, soweit sie nicht rein schöngeistig sind, lassen sich in irgendeiner Form auf die soziale Feldlinie seiner Konzeption ausrichten.

Soziale Architektur statt Zinskästen

Sein Kampf im Massenwohnungsbau galt den von ihm gescholtenen „Zinskästen“. Gemeint war damit die durch die hemmungslose Bodenspekulation erzwungene überoptimale Ausnutzung von Grundstücken. Den sogenannten „Hamburger Vierspänner“, das tief und schmal in die Grundstücke hineinragende Mietshaus, strich er aus den Bebauungsplänen, um diesen durch die optimale Luft- und Lichtversorgung garantierende Block-Zeilen zu ersetzen, wie man sie aus Hamm, Barmbek, Dulsberg und Winterhude kennt. Gleichzeitig trieb er mit verschiedenen gesetzgeberischen Mitteln und Initiativen die Finanzierbarkeit des sozialen Wohn-ungsbaus voran.

Neben der technischen Verbesserung und der Anpassung der Grundrisse und Wohnstandards an die Gegebenheiten der Zeit sucht Schumacher in seiner Architektur aber auch erzieherisch zu wirken. „Hygiene der Nerven“ nannte er sein Programm und führte aus: „Es gibt keinen stärkeren Erzieher zur sozialen Kultur, als die Wohnung des Menschen.“ Sie ist „der eigentliche Punkt, an dem soziales Bemühen anzusetzen hat.“ Als liberaler Reformer war Schumacher zutiefst davon überzeugt, daß sich die sozialen und Klassenkonflikte seiner Zeit unabhängig von der jeweiligen Politik durch die äußerliche Harmonisierung in einer wohlgeordneten Umgebung überwinden ließen. Dazu entwarf er ein Gesamt-Programm des Wohnens, das architektonische und technische ebenso wie ästhetische und psychische Komponenten bedachte und das er bis ins kleinste Detail, von der notwendigen Flurbreite bis zur richtigen Verputzung der Dachfenster, ausformulierte.

Dem Material Backstein kam dabei eine geradezu „gesetzgebende“ Bedeutung zu. Als traditioneller Werkstoff der Hanse-Architektur begeisterte es den Nationalisten Schumacher, der die Verwurzelung der Baukunst in der „Heimat“ forderte. Als Baustoff, der die Moderne Architektur zuläßt, sie aber entscheidend bändigt, gefiel der Backstein dem weltmännischen Architekten Schumacher, der sich mit steter Neugier mit den städtebaulichen und architektonischen Strömungen seiner Zeit auseinandersetzte.

Moral, Ehre und Vaterlandsgefühl

So klug und komplex Schumacher in der Erfassung und Beantwortung praktischer Fragen dachte, so entschieden er sich auch für eine Verbesserung der gesellschaftlichen Lage der Arbeiter im konkreten Fall der Wohnsituation einsetzte, so dumm und voller Standesdünkel blieben doch viele seiner politischen Äußerungen, die er in seinem weitläufigen schriftstellerischen Werk formulierte. Ein imperialistischer Nationalismus mit durchaus rassistischen Zügen, die immerhin frei von Antisemitismus blieben, durchziehen sein Werk. „Völkisches“ und „Rasse“ sind bei Schumacher stets wiederkehrende Kriterien und sein Wunsch, Deutschland „im Wettbewerb der Völker sieghaft zu machen“ versteigt sich bei dem emphatischen Bismarck-Verehrer 1914 zu einer kaum verhohlenen Kriegsbegeisterung. Seine politische Vision ist die „Arbeiterpartei im Rahmen gefestigter Begriffe von Moral, Religion und Vaterlandsgefühl“, wie er sie bei dem National-Sozialen Friedrich Naumann verwirklicht sieht.

Dennoch verachtet er, anders als etwa seine Kollegen Fritz Höger oder Konstanty Gutschow, die Nationalsozialisten – die ihn als „Kultur-Bolschewisten“ 1933 aus dem Amt entfernt hatten, ihm aber später rehabilitierend die „Goethe-Medaille“ verleihen wollten –, denn deren kultureller Stumpfsinn widerspricht dem großbürgerlichen Feinsinn Schumachers. Ein Kennzeichen seiner widersprüchlichen Persönlichkeit ist ja gerade, daß er trotz seines deutschen Chauvinismus und seinem Hang zu einem gewissen Kunst-Diktat für die kulturellen Leistungen anderer Menschen und Länder immer offen ist und neidlos anerkennt, wo Großes geleistet wird, selbst wenn es seinem eigenen Programm vollständig widerstrebt.

Nur aus dem intellektuellen Diskurs seiner Zeit heraus ist die Homogenität und problembewußte Sensibilität seiner Konzepte verständlich, deren Bedeutung und Übertragbarkeit in die heutige Zeit vielleicht anläßlich dieser Ausstellung noch einmal diskussionswürdig werden.

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