: Flaschen im Konkurrenzkampf
■ Der Biermarkt wird enger / Henninger-Bräu hat seine Produktion in Berlin bereits eingestellt / Kaum Spitzenbiere aus der Hauptstadt / Schlechte Wasserqualität
Der Berliner Biermarkt ist ein Terrain, auf dem mancher ins Torkeln gerät. Jüngstes Opfer: Bärenquell. Zum 31. März stellte die Henninger-Bräu AG aus Frankfurt am Main die Produktion in Schöneweide in Ostberlin ein. Die Traditionsmarke „Bärenquell“ wird nun – ohne den bisherigen Zusatz „Berliner“ – in Kassel gebraut. Begründet wurde der Umzug des erst 1991 von der Treuhand übernommenen Betriebs mit „betriebswirtschaftlich nicht zu rechtfertigenden Verlusten“. Die Kapazität von jährlich 600.000 Hektolitern sei, so der Vorstand, nur zu einem Viertel ausgelastet gewesen.
Ein Zeichen für den Konkurrenzdruck ist die Informationspolitik der Unternehmen. Selbst der Berliner Brauerei-Verband steht vor dem Problem, aktuelle und nach Firmen aufgeschlüsselte Daten zu erhalten. Immerhin, soviel ist zu vermelden: Der Absatz der 14 Mitgliedsbrauereien in Berlin und Brandenburg lag von Januar bis März um 13,5 Prozent über dem des Vergleichszeitraums 1993. Zahlen, die der Sprecher der Versuchs- und Lehranstalt für Brauerei in Berlin (VLB), Dietmar Biermann, vorsichtig beäugt: „Bierproduktion und Konsum sind stark von Witterungsbedingungen abhängig. Ein verregneter Sommer, und die Jahresbilanz kann – trotz positiver Ergebnisse in den ersten Monaten – am Ende deutlich abgeschwächt ausfallen.“
Bundesweit stagnierte im vergangenen Jahr der Konsum der gelb-trüben Flüssigkeit. Trotzdem konnte der Schultheiss-Brauerei- Verbund, der zur Dortmunder Brau und Brunnen AG gehört, seine Führungsrolle in Berlin und Umgebung halten und beim Absatz 1993 sogar 9,8 Prozent zulegen. Der Verbund verfügt mit Schultheiss in Kreuzberg, Berliner Pilsener in Weißensee und der Oderland Brauerei in Frankfurt/ Oder über drei Standorte. Das ebenfalls zu Brau und Brunnen gehörende Engelhardt-Unternehmen firmiert nur noch auf dem Papier als Brauerei, das Bier selbst wird seit längerem nach Originalrezepten im Schultheiss-Verbund hergestellt.
Bei fünf Millionen Hektolitern Gerstensaft, die 1993 in Berlin und Brandenburg getrunken wurden, hatte Schultheiss mit einem Jahresausstoß von 2,5 Millionen Hektolitern die Nase vorn, gefolgt von 1,6 Millionen Hektolitern der Berliner-Kindl-Brauerei. Die Berliner Bürgerbräu in Köpenick, seit 1992 in den Händen des bayerischen Familienunternehmens Paul Häring, zählt mit einer Jahresproduktion von rund 200.000 Hektolitern zu den Außenseitern. Erst in dieser Woche feierte die Firma mit dem Anstich einer neuen Marke („Rotkehlchen Export“) ihr 125jähriges Bestehen. Neben den Großen der Branche gibt es in der Stadt noch sechs sogenannte Hausbrauereien, darunter das Georg-Bräu im Nikolaiviertel und das Alex-Bräu in der Markthalle an der Karl-Liebknecht-Straße. Ausnahmslos haben sie sich auf Faßbier spezialisiert, das im Unterschied zu dem Verfahren in den Großunternehmen nicht filtriert wird. Nachteil: Die Lagerungsdauer ist begrenzt.
„Produzenten für den schnellen Konsum“ nennt Biermann von der VLB die Angebotspalette der hiesigen Unternehmen. Im Gegensatz zu manchen westdeutschen Herstellern aus der Provinz, die wegen der langen Vertriebswege und der damit verbundenen Haltbarkeitsprobleme auf Spitzentechnologie setzten, konnten sich Ost- und Westberliner Brauereien lange Zeit im Schatten der Mauer ausruhen. In der dichtgedrängten Millionenmetropole fanden sie die Konsumenten in der nächsten Eckkneipe. Nach 1989 wurden die Grenzen der alten Standorte schnell aufgezeigt, im Osten mehrere Brauereien geschlossen. Im Westen verlagerte Schultheiss einen Großteil seiner Produktion aus dem Kreuzberger Stammhaus nach Weißensee, das seit zwei Jahren mit erheblichen Mitteln modernisiert wird.
Spitzenbiere, sogenannte Premium-Pilsener, sind in Berlin eine Seltenheit. Ein Problem ist die schlechte Wasserqualität. Glück hatte Schultheiss mit dem Gelände des ehemaligen VEB-Getränkekombinats in Weißensee, wo man nach Bohrungen auf eine Mineralquelle stieß. Die abgewickelte Bärenquell-Brauerei hingegen, die in Schöneweide ebenfalls nach einer hochwertigen Wasserader gesucht hatte, blieb auf dem Trockenen sitzen.
Nach wie vor gilt: Berliner Bier bleibt, auch wegen seiner Qualität, ein provinzielles Getränk. Nur zehn Prozent, so VLB-Sprecher Biermann, „gehen von hier aus ins Ausland“. Severin Weiland
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