: Der Aorta-Faktor und die Verschuldung Sierra Leones Von Ralf Sotscheck
Klare Wahlkampfaussagen sind für die WählerInnen oft eine wichtige Hilfe bei der Entscheidungsfindung. Das haben die britischen Lokalwahlen am Donnerstag wieder einmal bewiesen. John Gummer, der konservative Umweltminister, verkündete in einer Rede Anfang April: „Freunde, ihr zahlt mehr für schlechtere Dienstleistungen, wenn ihr die Konservativen wählt.“ Hatte ihm jemand eine Wahrheitsdroge in den Tee getan? Seine Kollegen versuchten, die Scharte wieder auszuwetzen. Sie machten ein paar Labour-Verwaltungen ausfindig, die angeblich nicht nur Eishockeyteams, sondern auch Trauerkurse für schwarze Lesben finanziert hatten, berichtete Patrick Wintour im Guardian.
Vielfach veranschaulichen Vergleiche, was sonst eher abstrakt bleiben würde – vor allem wenn es um Verschwendung von Steuergeldern geht. So haben die elf Tories in der Bildungsbehörde von London in einem Jahr insgesamt 17 Taxifahrten unternommen, teilte das Pressebüro der Konservativen Partei mit. Im selben Zeitraum seien die 45 Kollegen von der Labour Party 1.800mal Taxi gefahren. Das war allerdings vor acht Jahren, aber Tories haben ein langes Gedächtnis. Sie fanden auch heraus, daß die Bezirksverwaltung von Haringey mehr Schulden als Lettland hat, und Lambeth steckt tiefer in den roten Zahlen als Sierra Leone. Beide Verwaltungen werden, versteht sich, von Labour kontrolliert.
Das ließ die Oppositionspartei nicht auf sich sitzen: Die Tory- Verwaltung von Westminster schulde pro Kopf mehr Geld als die Labour-Verwaltung von Birmingham, wehrte man sich. Mag sein, konterten die Tories erneut, aber nach zehn Jahren Sozialismus seien Birminghams Schulden fast dreimal so hoch wie die Albaniens nach vierzig Jahren Kommunismus. Na und? Labour hatte noch einen Trumpf im Ärmel: Major habe im vergangenen Jahr mehr Geld geliehen als China in den letzten fünfzig Jahren.
Die Liberalen Demokraten versuchten, mit einer Überschrift auf ihrem Wahlkampf-Flugblatt beiden etablierten Parteien gleichzeitig eins auszuwischen. Das ging jedoch voll daneben. „John Major will, daß Sie am Donnerstag Labour wählen“, hieß die Überschrift kryptisch. Labour Party und Liberale Demokraten haben sich gegenseitig angegriffen und beschuldigt, die Konservativen zu unterstützen. Das versuchten die Tory-Strategen dem Stimmvieh weiszumachen. „Wir werden Sie, verehrte Wähler, nicht angreifen, wenn Sie die Konservativen unterstützen.“ Das war denn auch nicht nötig. Noch nie haben weniger WählerInnen die Konservativen unterstützt.
In Schottland, wo den Tories eigentlich kaum noch etwas passieren konnte, weil sie ohnehin in fast keiner Bezirksverwaltung mehr vertreten waren, fielen sie hinter Labour, die Separatisten von der SNP und die Liberalen auf den vierten Rang zurück. Wenn die Tories bei den Europawahlen so weitermachen, ist Major geliefert. Dann schlägt vielleicht doch noch die Stunde des Industrieministers Michael Heseltine, der schon die eiserne Brechtüte Margaret Thatcher abgesägt hatte.
Wenigstens sei in diesem Falle der „Aorta-Faktor“ ausgeglichen, meinte der Guardian gehässig, denn ebenso wie Heseltine hat auch Labour-Chef John Smith eine Bypass-Operation hinter sich.
Siehe Kommentar Seite 10
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen