: Der blutige Weg in die politische Vereinigung
■ Grenzstreitigkeiten und bewaffnete Konflikte prägen die Geschichte des Jemen seit der Entkolonisierung des Südens und dem Ende des Absolutismus im Norden
Bis zur feierlichen Proklamation der Vereinigung 1990 war der heute etwas mehr als elf Millionen Einwohner zählende Jemen zwar nie als politische Einheit verwaltet worden. Historisch und kulturell aber wurde das auf der arabischen Halbinsel gelegene Land immer als zusammengehörig betrachtet. Die Teilung Jemens geht auf die britische Besetzung der südjemenitischen Hafenstadt Aden im Jahre 1839 zurück; Aden lag strategisch wichtig an der Einfahrt zum Roten Meer und hatte für die Verbindung zwischen Afrika und Asien für das britische Empire große Bedeutung. Als die Briten die Stadt besetzten, erklärten sie das Gebiet zwischen Aden und dem östlich gelegenen Oman zum britischen Protektorat.
Bedingt durch seine Unzugänglichkeit, ist Nordjemen weitgehend von kolonialer Besatzung verschont geblieben, das nördliche Bergland gehörte zum Einflußbereich des ottomanischen Reiches. Die Grenze zwischen dem Norden und der Region um Aden legte zu Beginn dieses Jahrhunderts eine englisch-türkische Kommission fest. Die Briten erkannten 1934 den durch den Imam Yahya absolutistisch regierten Nordteil als souveränen Staat an, Aden erklärten sie 1935 zur Kolonie.
Vor allem vom arabischen Nationalismus des ägyptischen Staatspräsidenten Nasser beeinflußt, entledigten sich die Nordjemeniten am 26. September 1962 ihres Imams und riefen die Arabische Republik Jemen aus. Daraufhin begann ein grausamer, acht Jahre dauernder Bürgerkrieg zwischen den von Saudi-Arabien gestützten Royalisten und den von Ägypten unterstützten Republikanern; trotz des Rückzugs der Ägypter behielten letztere mit Hilfe des Südjemen und der Sowjetunion schließlich die Oberhand.
Im Süden organisierten in den sechziger Jahren die rivalisierende Nationale Befreiungsfront (NLF) und die Front für die Befreiung Südjemens (FLOSY) den bewaffneten Widerstand gegen die britischen Kolonialherren, die dem Druck am Ende nachgaben. Die von der Sowjetunion unterstützte NLF ging in der Konkurrenz zwischen beiden Befreiungsbewegungen als Sieger hervor und verkündete am 30. November 1967 die unabhängige Demokratische Volksrepublik Südjemen.
Aufgrund der Unterstützung der jeweiligen Oppositionsbewegungen und weil keine der beiden Regierungen den Versuch zu einer Verschmelzung der neuen Republiken machte, kam es immer wieder zu Grenzstreitigkeiten und bewaffneten Konflikten zwischen beiden Staaten. Als die Regierung in Sanaa immer offener der südjemenitischen Opposition unter die Arme griff, kam es 1972 zum ersten größeren militärischen Konflikt zwischen beiden Ländern. Die Kämpfe konnten allerdings mit Hilfe arabischer Vermittlung relativ schnell beendet werden. Sieben Jahre später gerieten die beiden Jemen ein zweites Mal aneinander, auch diesmal wegen Unterstützung der jeweiligen Opposition. Die Arabische Liga schickte damals Beobachter, und mit Hilfe des kuwaitischen Emirs Jaber Ahmad Al-Sabah wurden die streitenden Präsidenten – einer von ihnen der heutige Präsident Ali Saleh – wieder an einen Tisch gebracht.
In den 80er Jahren kam schließlich der Einigungsprozeß in Gang. Ohnehin hatten sich inzwischen die wirtschaftlichen Systeme angenähert: Der Norden investierte zunehmend in den staatlichen Sektor, während der „sozialistische“ Süden dem privaten Sektor größere Freiheiten gewährte. Doch für beide änderte sich nichts an der Tatsache, zu den ärmsten Ländern der Welt zu gehören. Zurückgehende Überweisungen der Arbeitsmigranten vom Golf und Kürzungen der Entwicklungshilfe machten beiden Ländern zu schaffen. Als dann 1984 Öl gefunden wurde, lag eine Zusammenarbeit auf der Hand: Der Süden besaß die notwendigen Raffinerien, und die wiederum brauchten dringend neue Aufträge. Die Folge war die Verschmelzung der beiden nationalen Ölfirmen zu einer Gesellschaft. Damit war ökonomisch der Grundstein für eine politische Vereinigung gelegt.
Doch für beide Regime entsprang die Vereinigung im Jahre 1990 auch einer politischen Notwendigkeit. Von wirtschaftlichen und ideologischen Krisen geschüttelt, rangen beide um Legitimität. Denn weder die Machthaber in Sanaa noch die in Aden verfügten am Ende über Rückhalt in der Bevölkerung. Der Süden war nach blutigen innerparteilichen Auseinandersetzungen 1986 und dem Wegfall des Bündnispartners Sowjetunion wenige Jahre später nicht wieder auf die Beine gekommen. Im Norden dagegen hoffte man, von der effektiveren Verwaltung des Südens profitieren zu können und gegen den Druck der Clans die Macht endgültig zu zentralisieren. Der Ausweg Vereinigung hat sich – zumindest derzeit – als Sackgasse erwiesen. Karim El-Gawhary
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