: Scheinhilfe für Rußland
Jelzins Staatsbesuch ist für Kohl Anlaß, die deutsche Großzügigkeit gegenüber Rußland zu loben / In der Wirklichkeit fließt nur wenig Geld ■ Von Donata Riedel
Berlin (taz) – Wenn Helmut Kohl heute Boris Jelzin als Staatsgast empfängt, wird er viele lobende Worte finden – vor allem für sich selbst und die Bundesregierung. Kein anderes der reichen Industrieländer hat schließlich soviel Geld für Rußland ausgegeben wie die Bundesrepublik: 93 Milliarden Mark.
Jelzin wird brav dazu nicken. Denn er braucht die Fürsprache Kohls, wenn er künftig als vollwertiges Mitglied an den Weltwirtschaftsgipfeln der reichsten und mächtigsten Industrieländer (G7) teilnehmen will.
93 Milliarden Mark also sind an „verbindlichen Leistungen“, so ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums gestern, bis jetzt an Moskau gegangen. Jelzin, der erste demokratisch gewählte Präsident Rußlands, hat davon allerdings nur einen Bruchteil gesehen. Denn die „verbindlichen Leistungen“ wurden seit 1989 zusammengezählt. Diese Summe gibt das Bundeswirtschaftsministerium gerne bekannt. Was aber wann und wofür gezahlt wurde, die Einzelposten der Summe also, verschweigt die Bundesregierung – aus gutem Grund. Dabei käme nämlich heraus, daß mehr als die Hälfte der Summe als großzügige Kredite noch an Gorbatschow gingen: als Kaufpreis für die sowjetische Zustimmung zur deutschen Wiedervereinigung und als Unterstützung für den Abzug der Roten Armee. Darunter schlug allein das Wohnungsbauprogramm für die zurückkehrenden Soldaten mit 7,8 Milliarden Mark zu Buche.
Seit sich die Sowjetunion im Dezember 1991 aufgelöst hat und Jelzin in Rußland als Präsident amtiert, ist der deutsche Geldstrom versiegt: Weil man schon soviel Geld bezahlt habe, so entschuldigte sich die Bundesregierung auf allen G-7-Treffs nach dem Londoner Gipfel 1991, seien nun die anderen Mitglieder aus dem Club der reichsten Länder dran, also die USA, Japan, Großbritannien, Frankreich, Italien und Kanada.
Fortan hat sich Deutschland auf seinen Anteil an internationalen Hilfsprogrammen zurückgezogen. Darüber hinaus flossen Hermes- Kreditbürgschaften – an ostdeutsche Betriebe, denen ihre russischen Handelspartner die Rechnungen nicht bezahlten. Allein 1993 mußte der Bund dafür mit 4,5 Milliarden Mark einspringen. Für 1994 hat die Bundesregierung den Hermes-Topf für Rußland sicherheitshalber auf 2,5 Milliarden Mark begrenzt.
In der Summe von 93 Milliarden Mark sind außerdem die Kosten der Umschuldungsprogramme enthalten. Die alte Sowjetunion hatte Rußland 80 Milliarden US-Dollar Schulden vererbt. Die dafür anfallenden Zinsen und Tilgungen, die die Russen zahlen müßten, haben die westlichen Gläubigerstaaten umgeschuldet. Die G7 gemeinsam rechnen sich dafür 15 Milliarden US-Dollar, die sie von Rußland vorerst nicht bekommen, als Hilfsgeld an.
Unter dem Begriff „verbindliche Leistungen“ wird zusätzlich all das Geld gebucht, das den Russen von den G-7-Regierungen über den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank erst versprochen worden ist – unter der Bedingung, daß die russische Regierung den Staatshaushalt saniert und die Inflationsrate senkt. Auf ihrem Wirtschaftsgipfel in Tokio 1993 verabschiedeten die G7 ein Hilfspaket von 31,4 Milliarden Mark, von dem nur drei Milliarden Mark für die Privatisierung tatsächlich neues Geld waren, das außerdem nur zu einem Bruchteil ausgezahlt wurde.
Jenseits der Hilfspaket-Rhetorik engagiert sich die Bundesregierung nur mit Minibeträgen in Rußland: Die Treuhand-Osteuropa- Beratungsgesellschaft und der Privatisierungsbeauftragte Wolfgang Kartte bieten an ausgewählten Orten intensive Wirtschaftsberatung für Firmen in der Privatisierungs- und Entflechtungsphase an. Das läßt sich die Bundesregierung bislang nicht einmal 50 Millionen Mark kosten, obwohl gerade diese Art Unterstützung russischerseits tatsächlich als sinnvoll bei der Umstrukturierung gelobt wird.
Geld ohne Auflagen, das hat Kohl erst im April auf der IWF- Frühjahrstagung betont, werde es nur für den Energie- und Transportsektor geben; also dort, wo die Investitionen ganz sicher in kürzester Zeit Profit bringen – und Hilfe überflüssig ist. Donata Riedel
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