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„Opium im linken Hosenbein“

■ Vor fünfzig Jahren liquidierten die Nazis Hamburgs Chinesenviertel Von Kay Dohnke

Eingezwängt zwischen Großer Freiheit und Talstraße besaß Hamburg einmal ein besonderes Quartier, mitten in St. Pauli: Das Chinesenviertel in der Schmuckstraße. Eine Welt für sich – wohl sahen die Hafenarbeiter täglich auf Kisten und Ballen unverständliche Schriftzeichen, hörten sie fremde Sprachen, kannten sie ärmliche Wohnverhältnisse aus eigener Erfahrung. Den bürgerlichen Hamburgern jedoch galten exotische Ladenreklamen und beengtes Hausen in düsteren Kellern sofort als Flair des Fernen Ostens in der eigenen Stadt.

Kurze Feuilletons aus den frühen dreißiger Jahren sagen viel über die Vorbehalte ihrer Verfasser gegenüber fremden Menschen, wenig aber über die tatsächlichen Lebensbedingungen in der Schmuckstraße aus. Zaghafte Besuche in einem der Lokale, flüchtige Eindrücke von lächelnden Gesichtern wurden knapp skizziert. Kannte sich der hanseatische Kolumnist mit chinesischem Essen nicht aus, sprach er von Ratten- und Hundefleisch – auch damals kaum originell. Bis heute ist über die Entwicklung von Hamburgs chinesischem Viertel nur wenig bekannt, noch immer wartet die Geschichte der Schmuckstraße darauf, von den Lokalhistorikern entdeckt zu werden.

Die ersten Chinesen dürften sich gegen Ende des letzten Jahrhunderts auf St. Pauli angesiedelt haben: abgemusterte Seeleute, ihrer Jobs als Heizer, Schmierer oder Reiniger überdrüssig, für die Hamburgs Reeder damals gern genügsame und arbeitswillige Kulis anheuerten. Das Stadtleben bot andere Beschäftigung: Wäscherei und Kleinhandel, und während der Liegezeit im Hafen wollten auch die Matrosen aus der fernen Heimat versorgt sein. Vor allem britische und holländische Schiffe hatten oft chinesische Besatzungen, die in St. Pauli auf Landurlaub gingen.

Voyeure der Erotik, Voyeure der Exotik

Bis in die späten zwanziger Jahre hinein wohnten die Chinesen fast ausschließlich in der Schmuckstraße, die so zum Ghetto wurde. Untereinander sprachen sie neben Mandarin und Kantonesisch vor allem Englisch, die Ware in den kleinen Läden kam von weither, aus den Gaststätten kamen für deutsche Nasen ungewohnte Gerüche, und bald herrschten andere soziale Regeln als im übrigen St. Pauli. Zu den Voyeuren der Erotik kamen nun die Voyeure der Exotik: Der Gang in die Schmuckstraße wurde zur neugierigen Stippvisite.

Die Hamburger wußten wenig über ihre Nachbarn im Ghetto. Was an Informationen nach außen drang, paßte nur zu gut ins klischeebehaftete Bild, etwa als der Hamburgische Correspondent im April 1930 meldete, ein Chinese „mit sieben Pfund Rauchopium im linken Hosenbein“ sei verhaftet worden – der merkwürdige Gang des Mannes hatte das Mißtrauen der Polizei geweckt. Hamburg war damals einer der Hauptumschlagplätze im europäischen Drogengeschäft. Ob allerdings die Bewohner der Schmuckstraße hieran wirklich einen maßgeblichen Anteil hatten oder die heiße Ware eher im Gewirr der Hafenanlagen den Besitzer wechselte – das Bild von verderbten Opiumhöhlen ließ sich problemlos auf die Kellerwohnungen in dieser einen Straße übertragen.

Und gelegentliche Razzien brachten scheinbar eindeutige Belege: Als die Polizei im Oktober 1922 die Kneipe von Ko Yen Kow in der Schmuckstraße 7 durchsuchte, fanden sie fast 40 Opiumdosen und diverse Schußwaffen. Keine drei Jahre später war dasselbe Haus Schauplatz eines aufsehenerregenden Mordfalles: Im illegalen Spielsalon des Zigarettenhändlers Ah Wan lag am 1. Januar 1925 ein Toter mit acht Kugeln im Rücken und einem Messerstich unterm linken Auge. Geheimes Zeichen eines Mörders, der nie gefaßt wurde...

Wie in den Chinatowns anderer Weltstädte gingen die meisten Bewohner der Schmuckstraße, überwiegend Männer, hinter dem Vorhang aus westlicher Ignoranz und ängstlichem Klischee ganz normalen Alltagsgeschäften nach: Chong Jip und später Wong Sing boten im „Chop Shuy“ Spezialitäten an, Fat Hing und Wong Lam verkauften Tabakwaren, daneben gab es Wäschereien, Schiffsmaklereien, einfache Herbergen, ein chinesisches Heuerbüro und weitere Gastwirtschaften.

Mit Beginn der Nazi-Diktatur änderte sich auch das Leben in der Schmuckstraße. Kleine Gesetzesübertretungen wurden härter verfolgt, fremde Sprache, fremde Besucher weckten das Mißtrauen der neuen Herren. Als nach Kriegsbeginn immer wieder chinesische Matrosen in Gefangenschaft gerieten, internierte man sie bei ihren „Landsleuten“ in St. Pauli. Nicht selten organisierte der Gastwirt Chong Tin Lam in Zusammenarbeit mit dem Konsulat unter der Hand Ausreisepapiere.

Die Kontakte einiger Chinesen zu den Briten mißfielen den Nazis, die in den langjährigen Hamburgern chinesischer Abstammung nun Spione sahen. Und deren Treiben war zu unterbinden: Am Morgen des 13. Mai 1944 wurden alle Chinesen verhaftet und ins Gefängnis nach Fuhlsbüttel gebracht. Trotz Gewaltanwendung blieben die Verhöre ohne brauchbare Ergebnisse.

Auf die Untersuchungshaft folgte das Arbeitslager in Wilhelmsburg; 167 Chinesen mußten Gleise legen, in der Ölindustrie und in einem Betonwerk arbeiten – Kulis aus politisch-rassistischen Gründen. Bald fielen 17 Häftlinge den Arbeitsbedingungen zum Opfer. Nach ihrer Befreiung im Mai '45 gingen fast alle Überlebenden aus Deutschland fort. Ein ungewöhnliches Kapitel Hamburger Stadtgeschichte hatte sein brutales Ende gefunden.

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