piwik no script img

Vom deutschen Frohsinn

■ „Der neue Menoza“ im theater 89 – Jubiläumsproduktion zum fünfjährigen Bestehen

Armes theater 89. Da ist man vor fünf Jahren aus dem öffentlich subventionierten Apparat ausgezogen, um ein freies, ein selbstbestimmtes, vielleicht sogar anderes Theater zu erfinden, hat auch einige Erfolge aufzuweisen mit Stücken von Bukowski und Seidel, und was hat man nun in der Jubiläumsproduktion künstlerisch vorzuweisen? Stadttheater, biederes, muffiges Stadttheater. Dabei klingt die neue Produktion an sich vielversprechend. Selbst in der glättenden Bearbeitung von Christoph Hein ist „Der neue Menoza“ immer noch ein tolldreistes, wichtiges, aktuelles Stück.

Jakob Michael Reinhold Lenz führt darin einen „edlen Wilden“ nach Europa, um die aufgeklärten Sitten zu studieren. Doch – ach Europa! – die Zivilisation steckt tief im Morast. Statt, wie erhofft, Moral und Anstand, erlebt er nur Ehe- und Racheintrigen, Gift- und Mordanschlag, Eifersuchts- und Schauerdrama. In solch kühnen, sich überstürzenden Szenen entsteht dies „Gemälde der Menschheit“, daß die Germanisten darüber schnell die Nase rümpften und selbst der Autor später erschreckte: „Wie konnte ich Schwein sie malen.“

200 Jahre nach der Entstehung und 31 Jahre nach der Uraufführung hat Hans-Joachim Frank diesen Geniewurf nun so inszeniert, als handele es sich bloß um ein Skript für beispielsweise eine Dieter-Hallervorden-Show. Alle Pesonen springen und zappeln über die Spielfäche wie Puppen am Band. Sicher, Lenz orientierte sich beim Entwurf des „Menoza“ ja auch am Puppenspiel, zeigte die Mechanisierung des Menschen, seine Fremdbestimmtheit, doch: Derb karikierend, heftig krakeelend schießt das theater 89 weit über das Ziel hinaus – das Ganze ist nur ein großer Klamauk; deutscher Frohsinn.

Der Prinz aus dem Reiche Kumba erinnert an einen Magier aus dem Zirkus, trägt einen gefederten Turban und macht hübsche Verbeugungen. Familie Biederling, bei der er logiert, entstammt dem skurrilen Biedermeierkabinett. Er hat rote Haare, einen Buckel, ist beflissen rappelköpfig und rennt wie aufgezogen über die Bühne. Sie trägt ein putziges Häubchen über ihrem Mutter- Antlitz und schwebt im Reifrock umher. Tochter Mine macht dazu eine blöd-ernste Miene. Alle haben ihre Gesichter weiß gepudert und die Augen schwarz umrandet, alle neigen zu plötzlicher Ohnmacht, zur Hysterie. Sogar der Prinz. Spätestens nach fünf Minuten ist alles zwischen diesen Hampelmännern erzählt – die Aufführung geht aber noch 235 Minuten weiter! Arme Besucher. Immer fidel, immer lustiglustig, immer hahaha poltern die Schauspieler über alle Brüche und Tücken des Textes hinweg. Schneiden ein Paar Fratzen, blasen vielleicht aus lauter Jux in eine Gießkanne oder krabbeln voller Übermut über Boden und Sofa. So harmlos, so pennälerhaft kritisiert das theater 89 das vermeintlich sittsame Europa! Bierbauchtheater.

Daß im Stück zwei Welten gegeneinanderprallen, der Fremde und Europa, wird überhaupt nicht ersichtlich: Tandi gleicht ihnen ja in seinem überdrehten Spielgestus. Daß dieser „Wilde“ am Ende gezähmt, seine Opposition gebrochen wird, als ihn die Familie Biederling in ihr Idyll integriert, geht in der allgemeinen Dollerei vollkommen unter. Ebenso die Verknüpfung von Liebe, Begierde, Zärtlichkeit, wie sie in der Nebenhandlung zwischen dem Grafen Camäleon und Donna Diana geschrieben steht. Ebenso das ständige Umschlagen des Lachens in Schrecken. Ja, alles, aber auch alles Problematische, irgendwie Geheimnisvolle, Widersprüchliche, Leidenschaftliche, Sperrige, Menschliche des Stückes wird an diesem Abend einer penetranten Lustigkeit geopfert.

Lenz hat gefordert, daß die deutschen Komödienschreiber „komisch und tragisch zugleich schreiben, weil das Volk ein solches Mischmasch von Kultur und Rohheit, Sittigkeit und Wildheit ist“. Hans-Joachim Frank hat das Komische einfach nicht ernst genommen. Dirk Nümann

Weitere Vorstellungen: 13., 15., 17., 20., 22., 23., 30., 31. Mai, jeweils 20.30 Uhr, theater 89, Wilhelm- Pieck-Straße 216, Mitte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen