piwik no script img

Von Adenauer und Amnestie

■ In der Debatte um DDR-Aufarbeitung werden Strafrecht mit Moral und Naziterror mit Stasi-Verfolgung vermischt

Über 10.000 Gerichtsverfahren gegen zu Recht oder Unrecht verdächtigte Täter des DDR-Regimes sind derzeit anhängig. Aber kann das Unrecht, das Opfern des DDR-Regimes widerfahren ist, durch strafrechtliche Verfolgung der Täter wiedergutgemacht werden? Die Fraktion Bündnis 90/ Grüne hatte am Mittwoch abend im Abgeordnetenhaus eine Veranstaltungsreihe, in der sich dem Thema „Aufarbeitung der DDR- Vergangenheit“ gewidmet wird, mit der Frage eröffnet: „Schlußstrich oder Auseinandersetzung?“ Rechtshistoriker Uwe Wesel forderte, die Mehrzahl der Strafverfahren einzustellen, und provozierte bei den ZuhörerInnen — mancher war in der DDR verfolgt worden — heftigen Widerspruch.

Der FU-Professor kritisierte die „deutsche Tradition des ,Rechts‘- Radikalismus“, nach der politische Probleme allzu häufig juristisch gelöst werden sollten. Jüngstes Beispiel für den Umgang mit dem Neonazismus: Mit dem Ruf nach Staatsanwälten und Gerichten sei die Auseinandersetzung mit den Ursachen für den Bürger erledigt. Bei der Aufarbeitung des DDR- Unrechts kritisierte Wesel als empörend den Prozeß gegen den Spionagechef Markus Wolf, der zu sechs Jahren verurteilt wurde. Das Urteil widerspreche der Gerechtigkeit, denn der Bundesnachrichtendienst habe das gleiche getan wie Wolfs Hauptabteilung Aufklärung, doch westdeutsche Spione würden nicht angeklagt. „Wolf war auch für Morde verantwortlich“, warf Stefan Wolle, Historiker der Humboldt-Uni, daraufhin Wesel vor und bekam Beifall. Doch der Einwand machte das Dilemma dieses Abends deutlich: Das Verwechseln von Strafrecht und Moral. „Wolf ist nicht für Mord verurteilt worden, sondern für Spionage“, mußte Wesel Professoren und Publikum erinnern.

Beim Umgang mit der DDR- Vergangenheit wünschte sich Wesel den Ansatz von Konrad Adenauer. Der erste Kanzler der Bundesrepublik hatte sich für die „Integration statt Ausgrenzung“ ehemaliger Nationalsozialisten ausgesprochen. Die faschistischen Beamten waren in den Staatsdienst der Bundesrepublik übernommen worden. „Das habe ich immer für richtig gehalten“, sagte Wesel. Der ökonomisch erfolgreichen und politisch gefestigten Bundesrepublik habe dies nicht geschadet.

Im Gegensatz zur strafrechtlichen Verfolgung von DDR-Tätern hielt Wesel den Anfang der 60er Jahre geführten Ausschwitz-Prozeß für notwendig und richtig. Das Verfahren habe das Bewußtsein der Bundesrepublik „völlig verändert“, erstmals sei täglich über Naziverbrechen berichtet worden. Zu heute gebe es aber erhebliche Unterschiede. „Ich weiß alles, was in der DDR passiert ist“, glaubte Wesel, „und das ist nicht zu vergleichen mit millionenfachem Mord.“ Angelika Barbe, SPD-Bundestagskandidatin, schreckte hier nicht einmal mehr vor der Relativierung des Massenmords zurück. Sie entgegnete, die Staatssicherheit habe „psychische Zersetzung“ betrieben. „Ja“, bestätigte Wesel, „aber dies ist nicht strafbar.“

Auch das Podium brachte juristische und politische Ebenen durcheinander. FU-Historiker Jochen Staadt warf der Justiz vor, Mielke und Honecker falsch angeklagt zu haben. Doch wie man die politisch Verantwortlichen strafrechtlich zu fassen bekommt, konnte auch er nicht konkretisieren. „Sie machen sich das zu einfach“, konterte darauf Christoph Schaefgen, Chef der Arbeitsgruppe Regierungskriminalität. Der Rechtsgelehrte Wesel mußte die Historiker dann daran erinnern, daß „wir ein Täterstrafrecht haben“, das nicht für die Opfer gemacht worden sei, sondern mit dem Ordnung und Sicherheit garantiert werden sollen und müssen.

Wesel plädierte für eine weitgehende Amnestie auch deshalb, weil die Strafe für die Täter häufig in keinem Verhältnis zu ihrer Schuld stehe. Beispielsweise sei jüngst ein Lehrer suspendiert worden, der vor dreißig Jahren der Stasi über zwei Matrosen eine „negative Einstellung“ berichtete. Ein Mord wäre längst verjährt, eine Verurteilung aus dem Strafregister der Bundesrepublik getilgt. „Was hat der Geschädigte davon, wenn heute jemand zehn Jahre hinter Gittern verschwindet?“ fragte Wesel und lieferte die Antwort selbst: „Ich habe den Eindruck, es geht um Rache.“ Dirk Wildt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen