: Fürchterlich zischelts um mich
■ Schillers „Räuber“ machen sich unter Heymes Regie viel Bewegung am Goetheplatz: als nationaler Turnverein
Die Bremer ZuschauerInnen fielen einander nicht schluchzend in die Arme, sie stürmten nicht die Bühne, um den Bösewicht Franz zu vermöbeln wie bei der Uraufführung der Schillerschen „Räuber“ – solche Aufregung erwartet heute auch niemand mehr bei einem Theaterbesuch. Allerdings auch nicht diese langweiligen dreieinhalb Stunden, die Regisseur Hansgünther Heyme am Samstag bereitete. Nach der Pause hatte sich ein Drittel des Publikums verdrückt, der Rest spendete schmalen Beifall und einige Buh-Rufe.
Doch zunächst das Gute: Heyme hat mit einigen Klischees aufgeräumt. Wie oft steckte der machtgierige Franz, der den Bruder Karl beim Vater schlecht macht, bis der ihn verstößt, im geschnatzten Anzug, das Haar fies angeklebt, einer Schlange gleich. Bei Heyme dagegen hat der Franz (Peter Kaghanovitch) mehr von einem Zukurzgekommenen, von einem, der, wenn schon nicht geliebt, wenigstens gefürchtet sein will.
Der edle Karl wiederum, der Bruder, der sich vom Hof lossagt und seinen Gefühlen freien Auslauf gewährt, der kam allzuoft mit offen wallendem Haar und Reiterstiefeln bis an die Hüften revolutionär dahergestampft. Ganz anders bei Heyme: Da ist der Karl (Matthias Redlhammer) kein studentischer Revoluzzer mehr, sondern mindestens zehn Jahre älter, er fegt nicht als Rächer der Armen über die Bühne, sondern lehnt schon zu Beginn zweifelnd am Rand, in Anzug und mit straff gekämmten Haaren so gar nicht verwahrlost, hört sich augenbrauenlüpfend die Prahlgeschichten der Kumpane an. Er weiß schon am Anfang, daß auch Raubmorde an Schurken Morde sind.
Und Amalia, Karls verlassene Braut, die trotz Franzens Verleumdungen ihrem Gefühl vertraut, wie oft wehte sie als unschuldig Mägdelein daher! Heymes Amalia (Marina Matthias) dagegen, die Hände in den Taschen des eleganten Hosenanzugs, ist mehr als ein intuitives Herzchen, sie hat was von einer Jung-Professorin.
Neu auch, daß sowohl die Räuberszenen als auch die Schloßszenen auf ein und demselben engen Platz spielen, im Halbrund abgehängt von einem dickem Vorhang (Kostüme und Bühne: Wolf Münzner). Dieses Gedämpfte, dieses so gar nicht Hochfliegende, das sah nach einem interessanten Regiekonzept aus: Die gegensätzlichen Entwürfe der beiden Brüder sind einander nähergerückt. Das ganz andere Leben außerhalb der väterlichen Ordnung gibt es nicht, und alle wissen es.
Der in den 70er Jahren immer als Linker gehandelte Karl ist schon am Anfang nicht recht bei der Sache, eher ein Ausgestoßener denn ein Aussteiger. Eigentlich will er wieder heim zur Familie. Eigentlich findet er die Gesetze gut, nur werden sie nicht eingehalten. Ein Revolutionär? Nein, ein Enttäuschter. Und der Bruder, das Böse in Person? Nein, ein mitleiderregender kleiner Wüterich.
Heyme aber demontierte nicht nur das Heldische der Figuren, sondern die Figuren gleich mit, so daß man jedes Interesse an ihnen verlieren mußte. Der Vater (Hans Schulze), der sich in anderen Inszenierungen ordnungsgemäß grämt, hat bei Heyme alle Gefühle verspielt. Als er von des Sohnes Liederlichkeiten erfährt, ißt er ein bißchen schneller und sagt unterm Kauen: „O meine Kinder, wie ihr nach meinem Herzen zielt“. Ach so, die vaterlose Zeit, die Krise der Familie! Zeigefinger, ich seh dir winken.
Völlig zerstört hat Heyme die Figur des Bruders Franz. Dem gefährlichen Verführer hat er zwar die Größe der Bosheit genommen, aber er hat ihm dafür weder die Würde der Kleinen gegeben noch sonst etwas, das ihn zum Menschen machen könnte. Er hat die Figur stattdessen zum Hampelmann degradiert und den Schauspieler Peter Kaghanovitch aufs Jämmerlichste vorgeführt.
Heyme muß den Armen geradezu mit hunderten von Regieanweisungen vollgeknallt haben. Wenn Franz sich fragt, warum er nur so häßlich geworden ist, was tut er, dem geringsten Schauspielschüler gleich: Er formt mit den Händen einen Trichter vor dem Mund und ruft die Wände an.
So kommt es, daß man, während Franz am Ende von Panik überflutet wird, von einer Pobacke auf die andere rutscht und sich fragt: Wann bringt er sich nun endlich um! Der Bremer Franz hingegen hüpft noch lange im Nachthemd herum, angeblich von Angst gepeinigt, in Wahrheit aber nur rumfuchtelnd wie eh und je – eine Knallcharge.
Stellen wir uns die Szene nur probehalber anders vor: Derselbe Schauspieler, das selbe Nachthemd, die selben weißen unbehaarten Beine, aber ohne rumzuhopsen. Einfach dastehen mit diesen bedürftigen Füßen und sagen: „Fürchterlich zischelts um mich“.
Auch die Räuber unterliegen dem gnadenlosen Kommando von Heymes Regieanweisungen: Ohn' Unterlaß springen sie mal rauf auf den Militär-Lkw, mal runter, packen Stühle aus und wieder ein – Tempo kommt so aber nicht ins Stück, nur Rastlosigkeit. Die Diskussionen der Räuber über Abenteurer- oder Revoluzzertum, über Geldverdienen und Geldklauen werden durch diesen Bühnenaktionismus zersprengt. Die jungen Schauspieler zeigen durchaus Ansätze von Charakterstudien; es geht aber alles unter. Zu diffizilen Gefühlen gegenüber diesen Randfiguren, die Schweine sind, aber doch auch wieder so generös, fehlt jede Gelegenheit.
Umso ärgerlicher, als Heyme statt der konkreten Figuren ein Hinweisschild nach dem anderen vor die Nase hält: Da trägt einer der Räuber ein T-Shirt mit der Aufschrift „Deutschland den Deutschen“, ein anderer kost einen Schäferhund, der dritte beißt den Schäferhund gar und schließt beim fließenden Blut einen Pakt, der vierte und der fünfte tragen Wehrmachtsmäntel, der sechste eine Skinfrisur ... Alles Behauptungen, denn dem Text zuhören dürfen wir nicht, da sei das Rumgehopse vor. Diese Zeichen stehen für nichts, bleiben bloße Rhetorik, genauso wie die Pfütze am Bühnenrand durch die unterschiedslos alle irgendwann latschen, als sei die Pfütze gar nicht da, so daß es schon gar nichts mehr heißt. Christine Holch
nächste Aufführung: am Donnerstag um 19.30 Uhr im Theater am Goetheplatz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen