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Eine Nation von Hilfssheriffs

■ Konkurrenz belebt das Spitzelgeschäft: Im vergangenen Jahr verdoppelten sich anonyme Anrufe bei den Arbeitsämtern, die „Sozialbetrüger“ verpetzten / Die Tips führen nicht selten zum Datenabgleich

Berlin (taz/dpa) – Der Anrufer wollte anonym bleiben. „Gegenüber auf der Baustelle“, so nuschelte er, „da arbeiten Ausländer schwarz.“ Woraus er das schließe, fragte ihn sein Gesprächspartner vom Arbeitsamt. Na, die seien doch „alle dunkelhaarig“, lautete die Antwort. Daß schwarzhaarig nicht gleich schwarzarbeitend ist, wurde dem Mann schonend beigebracht. Obwohl dubios, gehört der Anruf zu einem Trend: Petzen ist „in“. Die Zahl der Hinweise auf „Sozialbetrug“ „hat sich im vergangenen Jahr etwa verdoppelt“, erzählt Hans-Otto Cottmann, Leiter der Leistungsabteilung im Arbeitsamt Bochum.

Rund ein Drittel der Hinweise führten zur Aufdeckung, schätzt Cottmann. Die Anonymität des Anrufers ist dabei kein Hindernis für die Arbeitsämter: jeder Anzeige wird nachgegangen. „60 bis 70 Prozent der Hinweise sind anonym“, berichtet auch Frank Brandes, Leiter der Bekämpfung der illegalen Beschäftigung im Landesarbeitsamt Berlin-Brandenburg. Zumeist handele es sich bei den Tipgebern um direkt Betroffene: Konkurrenten, die unterboten wurden und deshalb sauer sind. Verlassene Ehefrauen, deren angeblich arbeitsloser Ehemann keinen Unterhalt mehr zahlt, obwohl er „schwarz“ jobbt. Mieter, die sich über den Dachausbau ärgern und anzeigen, daß da oben „sechs Polen“ im Dachstuhl werkeln. Oftmals haben die Anrufer engen Kontakt zu denjenigen, die sie anzeigen. „Deshalb wollen sie natürlich auch nicht, daß ihr Name bekannt wird“, so Brandes.

Die Arbeitsämter werden aufgrund anonymer Hinweise unterschiedlich aktiv. „Zeigt jemand seinen arbeitslosen Nachbarn an, weil der jeden Morgen im Blaumann das Haus verläßt, schauen wir erstmal im Computer, ob der Mann Leistung bezieht“, erläutert Brandes. „Steht er drin, laden wir ihn zur Meldekontrolle vor und konfrontieren ihn mit dem Verdacht. Stimmt der Vorwurf, wird sich der Mann schon aus der Arbeitslosigkeit abmelden.“ „Schwarzarbeitern“, die zwar kein Arbeitslosengeld beziehen, aber nicht korrekt sozialversichert sind, kann ebenfalls eine Anfrage blühen. Aufgrund anonymer Hinweise gehen Kontrollanfragen von den Arbeitsämtern auch mal zu den Finanzämtern und der AOK. Was Krankenkassen und Finanzämter dann damit machen, ist allerdings „deren Sache“, so Brandes.

Wird aufgrund eines anonymen Tips illegale Beschäftigung vermutet, kommen die Außenprüfer der Arbeitsämter vorbei. Beweiskraft haben die anonymen Hinweise zwar nicht. Trotzdem ist die gängige Praxis „eine heikle Sache“, meint Eva-Maria Hüsson, Sprecherin des Landesarbeitsamtes Düsseldorf. Sehr leicht könne ein Klima entstehen, in dem alle Arbeitslosen als „potentielle Betrüger“ angesehen würden. Wo „Nachbarschaftshilfe“ so fest zur Volkswirtschaft gehört wie die Arbeitslosigkeit, kann Denunziantentum das Klima vergiften.

Edel sind die Motive der Hilfssheriffs ohnehin nicht. „Es melden sich weniger die, die es eigentlich wissen müßten“, stellt Brandes fest. Kollegen halten still, obwohl auf der Nebenbaustelle ein Dutzend illegal beschäftigter Maurer schubbert. Betriebsräte akzeptieren im eigenen Unternehmen dubiose Mogeleien, um nicht als Nestbeschmutzer zu gelten. Solange, bis einer von ihnen hinausgeschmissen wird. Der fängt dann an zu plaudern. B. Dribbusch/S. Clement (dpa)

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