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„Das Strafrecht löst kein Problem“

■ Hans Lisken, Düsseldorfs Polizeipräsident, hofft durch die Freigabe einer „geringen Menge“ Heroin den illegalen Handel zu bekämpfen

taz: Herr Lisken, schenkt man Bayerns Gesundheitsminister Glück Glauben, wird Nordrhein- Westfalen zur Fixerstube Deutschlands mutieren. Werden Ihre Rauschgiftfahnder jetzt umsatteln müssen?

Lisken: Das ist die Sprache eines Politikers in Vorwahlkampfzeiten. Nein, wir brauchen unsere bisherige Praxis hier in NRW kaum zu ändern. Es geht ja nicht darum, den illegalen Handel mit Betäubungsmitteln straflos zu stellen, sondern darum, den Endverbraucher zu entkriminalisieren, soweit das vertretbar ist. Denn wenn ich den illegalen Rauschgifthandel wirksam bekämpfen will, dann muß ich die Drogenabhängigen zu meinen Verbündeten machen; die müssen nicht mehr in der Notlage sein, sich an den – illegalen – Dealer zu wenden. Es ist doch so, daß die Beschaffungskriminalität Ausdruck einer Suchtabhängigkeit ist. Wenn ich dem einzelnen Suchtabhängigen aber einen Therapieplatz anbiete, in der er nicht auf illegale Weise an Stoff kommt, dann ist er nicht mehr auf den Drogenhandel angewiesen – was wiederum den illegalen Handel weitgehend trockenlegen dürfte. Zumindest sollte man dieses Experiment wagen. Ein solches Wagnis zu unternehmen, hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem jüngsten Beschluß nahegelegt.

Nun ist NRW-Justizminister Krumsiek ja vorgeprescht und hat auch für Heroin die Grenze bei 0,5 Gramm festgelegt. Er hat sich dabei wohl an dem Tagesbedarf eines Fixers orientiert. Deckt sich denn diese Größe mit einschlägigen Erfahrungen Ihrer Beamten?

Es geht weniger um die Erfahrung meiner Beamten als um das, was sachkundige Mediziner dazu sagen. Die Mediziner haben ganz eigene Vorstellungen zu der Frage, wann Abhängigkeit beginnt. Man kann naturwissenschaftliche Fragen nicht rechtsdogmatisch beantworten. Wir müssen uns die innere Freiheit erhalten, mit solchen Problemfeldern experimentell umzugehen und nicht immer gleich mit dem großen Hammer des Strafrechts zu operieren. Das Strafrecht löst in dieser Gesellschaft kein Problem.

Wäre es denn nicht konsequent, die sogenannte „geringe Menge“ prinzipiell höher anzusetzen?

Wir haben jetzt in Nordrhein- Westfalen den Beschluß, es mit dieser Größenordnung zu versuchen. Niemand hindert uns nach dem Gesetz daran, je nach Erfahrung die Dosis höher oder niedriger zu setzen.

Der Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Lintner (CDU), spricht bei dem Beschluß des Justizministeriums Ihres Landes von einem „schlimmen und unverantwortlichen Mißbrauch des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts“. In der Tat steht in diesem Beschluß nichts von einer Freigabe von Heroin in geringen Mengen.

Nein, das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, man solle doch die Möglichkeiten des Betäubungsmittelgesetzes ausschöpfen. Dort steht drin, daß unabhängig von der Art der Droge wegen geringer Mengen zum eigenen Verbrauch nicht bestraft werden muß. Laßt uns doch diese Chance nutzen.

Ist es nicht etwas paradox, daß die Staatsanwaltschaft von der Strafverfolgung absehen kann, die Beamten aber weiterhin angehalten sind, zu ermitteln?

Wenn solche Richtlinien für die Staatsanwaltschaft existieren und meine Polizisten finden nun einen Endverbraucher – viel mehr finden sie ja nicht –, dann ist es selbstverständlich, daß man mit diesem Endverbraucher spricht, seinen Namen feststellt und ihm Hilfsangebote macht. Alles das gehört doch zum Ermitteln dazu. Die schlichte Erkenntnis aus den Ermittlungen muß selbstverständlich der Staatsanwaltschaft mitgeteilt werden, obwohl der Beamte sagen kann, daß es für den Verdächtigten nach den Richtlinien nicht automatisch auf ein Strafverfahren hinausläuft, wenn er sich kooperativ zeigt. Ermitteln bedeutet nicht zwangsläufig die sichere Zuführung zur Strafe. Interview: Dieter Rulff

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