: Pflicht zur Verschwiegenheit oder Vertuschung?
■ Berufungsverhandlung gegen den früheren Santa-Fu-Chef Wolfgang Sarodnik begann
Neuauflage des Verfahrens um den Vergewaltigungsskandal in „Santa Fu“: Seit gestern muß sich der Ex-Leiter des Fuhlsbüttler Knastes, Wolfgang Sarodnik, wiederum wegen dreifacher Strafvereitelung in Amt verantworten, diesmal vor dem Landgericht. Dem 55jährige Psychologen wird vorgeworfen, neun Vergewaltigungen und sexuelle Nötigungen durch den Häftling Alfred Banz verheimlicht zu haben. Amtsrichter Nils Graue hatte ihn 1992 deswegen zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt.
Banz verbüßt seit 1974 eine Haftstrafe mit Sicherheitsverwahrung wegen Prostituierten–Mord. Zwischen 1976 und 1982 versuchte er in Santa Fu in mindestens zwei Fällen, Frauen zu vergewaltigen. Als die Betroffenen die Überfälle dem damaligen Santa Fu-Chef Dietrich Stark meldeten, soll er, wie eine der Frauen berichtete, die Vorfälle bagatellisiert haben: „Man muß für den sexuellen Überdruck für langjährige Strafgefangene Verständnis haben.“ Und auch als eine Justizmitarbeiterin 1982 von Banz vergewaltigt wurde, machte Stark beim Strafvollzugsamt keine Meldung. Angeblich auf Wunsch der Frau, die um die Karriere ihres Mannes (Justizbehörden–Sprecher) fürchtete.
Sarodnik wurde erstmals im Juli 1983 nach der Übernahme der Leitung mit der „Stark-Banz-Erblast“ konfrontiert, nachdem Banz erneut eine Mitarbeiterin in der Knastbibliothek vergewaltigt hatte. In einer Unterredung zwischen Sarodnik und den betroffenen Frauen war allerdings erneut Vertraulichkeit vereinbart worden, weil die Mitarbeiterinnen sich nicht der Tortur eines Prozesses unterziehen wollten, ferner um ihre berufliche Karriere fürchteten, weil dadurch der Modellversuch „Frauen im Männerknast“ in Frage gestellt werden könnte. Weitere Vergewaltigungen folgten, aber keine Strafanzeigen.
Erst als ein Psychiater Banz Vollzugslockerungen gewähren wollte, weil eine „Rückfallwahrscheinlichkeit nicht mehr gegeben“ sei, zog Sarodnik die Notbremse und schrieb dem Strafvollzugsamt: „Eine vorzeitige Entlassung kann auf keinen Fall befürwortet werden.“ Der Skandal flog auf, als im Zuge einer Zellenrazzia 1990 ein Brief gefunden wurde, in dem Banz die Vergewaltigungen zugab.
Während Sarodnik angibt, aufgrund des Versprechens gegenüber den Frauen zur Verschwiegenheit verpflichtet gewesen zu sein, warf Richter Graue dem Psychologen vor, daß es das Ziel war, die „Öffentlichkeit auszuschalten“, um das umstrittene liberale SPD-Strafvollzugsmodell zu retten. Sarodnik wird am 27. Mai zu „Graues grauenhaftem Urteil“ (Verteidigung) Stellung nehmen. Kai von Appen
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