: Standesgemäßes Katzenglück
■ Walt Disneys „Aristocats“ kommen wieder in die Kinos
Kindheit ist der Ort rückprojizierter Wünsche, den man im Kino am liebsten märchenhaft verfremdet und komisch sieht. Walt Disney muß das gewußt haben. 1928 hatte er sein Firmenzeichen, die Mickey Mouse, kreiert, und zeitlebens sah er es auch als sein Vorrecht an, der Maus seine Stimme zu leihen. Disney hatte schon 1930 „folgende Ambitionen: nämlich in der Lage zu sein, Zeichentrickfilme zu machen, die ebenso gut waren wie die Serie ,Aesop's Fables‘“. Vermenschlichung und Personifikation waren die Methoden, mit denen die Trickfiguren vor allem den Herzen der Zuschauer nahegebracht wurden. Zu bedauern sind diejenigen unter uns stabilen, effektiven und seriösen Mitmenschen, die nie von singenden Glockenblumen, garstigen Baumwurzeln oder ängstlichen Häschen gerührt wurden.
Charakteranimation sah Disney, der den Zeichentrickfilm für eine Summe aus aktionsgeladener Bewegung und übertreibendem Ausdruck hielt, überhaupt als Essential erfolgreichen Filmens an. Wer den Beweis dafür sucht, daß Mimik dabei in der Folge eines gedanklichen Prozesses stand, der sehe sich wieder einmal Goofys groteske Grimassen vor einem turbulenten Durcheinander an. Das war es, was das Publikum als besonders lustig empfand: Abenteuer mit Situationskomik, Gefahr und unvorhergesehene Zwischenfälle, die immer ein gutes Ende nehmen.
1937 drehte Disney mit „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ seinen ersten abendfüllenden Zeichentrickfilm. Er spielte weltweit mehr als 8,5 Millionen Dollar ein und begründete Disneys langjähriges Monopol auf den Kinotrickfilm.
„Pinocchio“ (1940), „Dumbo“ (1941) oder „Bambi“ (1942) läuteten – das experimentelle Concert- Feature „Fantasia“ (1940) ausgenommen – eine Ära langer Zeichentrickfilme ein, die bis in die fünfziger Jahre hinein meist auf einem Buch oder wenigstens einer etablierten Geschichte basierten, wie Disneys Mitarbeiter Dick Huemer sich erinnerte. Während des Zweiten Weltkriegs wurden in den Disney-Studios auch Lehr- und Agitationsfilme wie „The Fuehrer's Face“ (1943) für die US- Army hergestellt. Über wegen ihrer Sprunghaftigkeit und episodenhaften Erzählweise umstrittene Produktionen wie „Alice im Wunderland“ von 1951 erntete das Disney-Imperium in den sechziger Jahren mit „Mary Poppins“ und dem „Dschungelbuch“ noch einmal größte Meriten. Als 1970 nach vierjähriger Arbeit in den Studios „Aristocats“ in die Kinos kam, war Walt Disney, der Großmogul des Zeichentricks, schon vier Jahre tot.
„Aristocats“ hat – außer einem modernistisch stilisierten und formalisierten Hintergrund – eigentlich nur das, was fast alle anderen Disney-Filme auch haben: witzige Gags, straffe Dialoge und eine übermütige Handlung, dazu aber das besondere Angebot ans Streichel-Schmeichel-Schmusebedürfnis: Katzen sind die Helden, und Katzenhasser haben es nicht besser verdient, als abgestraft zu werden. Die Aristocats sind eine bei einer reichen alten Operndiva lebende Kleinfamilie aus aristokratischer Katzenmutter und drei niedlichen Kätzchen, die Sahne aus zauberhaften Gläschen nippen und süß mit dem Katzenpo wackeln. Katzendame Duchesse (daß sie alleinsteht, ist natürlich wichtig) gab ihren Kindern in froher Hoffnung Künstlernamen, und es ist ganz köstlich anzuschauen, wie Toulouse, der eigentlich lieber Tiger werden will, auf der Leinwand schmiert und Berlioz am Klavier übt.
Weil man sich im Paris um 1910 befindet, kommt natürlich eine Verliebung vor, eine nicht standesgemäße zwischen Angora und Straßenkater. Doch vor dem Happy-End muß der schurkige Butler Edgar, der den Katzen nach Erbe und Leben trachtet, unschädlich gemacht werden.
Eine mutige Maus, die wie ihr Lieblingskäse Roquefort heißt, ein edles Roß, Hüte liebende Hunde, besoffene Gänseriche und eine räudig-vitale „Swingy-Cat-Band“ nehmen an wilden Verfolgungsjagden teil, bis das Katzenglück gesichert ist. Und weil Tiere und insbesondere „Katzen furchtbar viel Musik und ein kleines Stück vom großen Glück“ brauchen, wird im Film auch furchtbar viel gesungen und geturtelt. Fast genau wie im wirklichen Leben.
Anke Westphal
„Aristocats“. Regie: Wolfgang Reithermann. USA 1970, 78 Minuten
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