: Per„Sarajevo-Liste“ nach Straßburg
Französische Intellektuelle machen Europawahlkampf mit Bosnien / Verteidigungsminister Léotard will bis zum Jahresende 2.500 Blauhelme aus Kroatien und Bosnien abziehen ■ Aus Paris Bettina Kaps
Der Publizist Bernard-Henri Lévy hat den französischen Parteien ein Ultimatum gestellt: entweder sie unterstützen seinen Einsatz für „ein einheitliches Bosnien- Herzegowina“ oder er wird bei den Europawahlen am 12. Juni mit einer „Liste Sarajevo“ auf Stimmenfang gehen. „Heute gibt es nur eine wichtige europäische Frage: Bosnien“, erklärte Lévy, nachdem er am Sonntag auf dem Filmfestival von Cannes einen Film („Bosna“) vorgestellt hat, der die Verantwortung des Westens für den Krieg in Bosnien anprangert. Mit seiner Initiative will Lévy die Parteien zum Engagement in der Bosnien-Frage zwingen.
Damit es nicht bei Absichtserklärungen bleibt, verlangt der Intellektuelle von den Listenführern, sich auf bestimmte Positionen festzulegen. „BHL“, wie er in Frankreich genannt wird, fordert die sofortige Aufhebung des Waffenembargos, unabhängig vom Ergebnis der Verhandlungen in Genf, weil „Bosnien ein Recht auf Selbstverteidigung hat“; die Verwirklichung aller UN-Resolutionen zum Schutz der Sicherheitszonen mit Drohung von Luftangriffen sowie die Unterstützung des internationalen Gerichtes, das über die Kriegsverbrechen in Bosnien richten soll. Lévy wird von zahlreichen Schriftstellern, Philosophen – wie André Glucksmann – und Künstlern wie der Schauspielerin Marina Vlady unterstützt. Auch andere Intellektuelle wie der Philosoph Alain Finkielkraut, der ein „Komitee Vukovar-Sarajevo“ gegründet hat, bemühen sich, die PolitikerInnen zu mobilisieren. Bis gestern abend wollte Lévy anhand der Reaktionen der Parteien entscheiden, ob er tatsächlich eine Liste anmelden werde.
Mit der Drohung hat Lévy bereits einen Teil seiner Absicht erreicht: Fast die gesamte politische Klasse fühlte sich auf den Fuß getreten und griff ihn heftig an. Staatspräsident François Mitterrand, der selbst vor zwei Jahren einer Initiative von Lévy gefolgt und ins umkämpfte Sarajevo geflogen war, betonte: „Jene, die die Regierungen beschuldigen“, müßten auch „die Alternative zu der internationalen Verhandlung erwähnen“, nämlich „den Krieg.“ „Selbst wenn Frankreich zum Krieg bereit wäre, so kenne ich keine anderen Staaten, die sich anschließen würden“, erklärte der Staatschef.
Unterdessen erwägt die Regierung erstmals konkret den Abzug ihrer Blauhelme aus Ex-Jugoslawien, wobei es in dieser Frage offenbar Meinungsunterschiede zwischen Verteidigungsminister François Léotard und Außenminister Alain Juppé gibt.
Am Dienstag kündigte Léotard an, daß 2.500 französische Soldaten bis zum Jahresende heimfliegen sollten. Von Juni an könnte die Truppe aus Glina, im Norden von Kroatien, abgezogen werden. Anschließend solle die französische Einheit in der muslimischen Enklave Bihać im Nordwesten von Bosnien folgen. Kurze Zeit nach dieser Ankündigung wiegelte das Außenministerium ab: Der Abzug aus Glina stehe nur im Rahmen einer Truppenverlagerung an, weil die französischen Streitkräfte in Sarajevo verstärkt werden sollten. Die Entscheidung über einen Abzug aus Bihać – die Enklave gehört zu den sechs „Sicherheitszonen“ unter UN-Schutz – werde erst am Jahresende gefällt, sofern es bis dahin „keinen diplomatischen Durchbruch gibt“.
Mit 6.871 Soldaten stellt Frankreich derzeit das größte Kontingent der UN-Truppen. Paris hatte schon mehrmals einen Rückzug ins Auge gefaßt, um die diplomatischen Bemühungen für einen Frieden voranzutreiben. Während sich der Verteidigungsminister offenbar darum sorgt, daß die Soldaten jederzeit zu Zielscheiben der Kriegsparteien werden könnten, setzt der Außenminister weiter auf Verhandlungen. Dennoch mehren sich in den Regierungsparteien die Stimmen, die einen Rückzug fordern. Premierminister Edouard Balladur hatte vergangene Woche erklärt, Frankreich sei „nicht berufen, ewig die Aufgaben und Verantwortlichkeiten zu übernehmen, die andere ablehnen“.
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